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Januar | 2014

Zum Krieg gegen die Sowjetunion


„Die Russen in Berlin“

 

Soldaten der Roten Armee haben während der Kämpfe und in den Tagen, oft auch in den Wochen danach schwere Übergriffe gegenüber der deutschen Bevölkerung begangen, von Raub und Plünderung über Vergewaltigung bis zum Mord.

Doch bereits kurz nach Beendigung der Kämpfe sind die sowjetischen Militäradministrationen energisch gegen diese Übergriffe vorgegangen. Vor dem Haus in Steglitz, in dem ich als Student gewohnt habe, wurden z.B. vor den Augen der Bewohner und Nachbarn sowjetische Soldaten exekutiert, die betrunken im Hause schwerste Verbrechen begangen hatten. Die sowjetische Militärverwaltung Berlins hat sich unter ihrem Kommandanten Nikolai Bersarin schon vor der Kapitulation daran gemacht, die Wasser-, Strom- und Gasversorgung wieder in Gang zu bringen, sie hat für die Beschaffung und Verteilung von Lebensmitteln gesorgt, hat sich um die ärztliche Versorgung gekümmert, alles schrittweise, dem katastrophalen Zustand Berlins entsprechend. Und um die Kultur! Bereits Mitte Juni 1945 waren zwei Theater, die Philharmonie, 45 Varietés und Kabaretts und 127 Kinos wieder geöffnet – und vier Kinderkrankenhäuser, 10 Entbindungsanstalten, und der älteste Berliner Biergarten „Prater“ in Prenzlauer Berg.

Als nach der Wende die Bersarin-Straße umbenannt werden sollte, gab es aus der Bevölkerung Proteste. Das ging lange hin und her. Die Straße heißt jetzt wieder Petersburger, aber der anliegende Baltenplatz wurde in Bersarin-Platz umbenannt. So heißt er noch heute. Zusätzlich erhielt die Brücke über die Wuhle, über die Bersarins Truppen am 21. April 1945 als erste Berliner Stadtgebiet erreichten, im Jahr 2005 den Namen Nikolai-Bersarin-Brücke. Vor allem auf Betreiben der CDU wurde 1991 Bersarin dessen Ostberliner Ehrenbürgerschaft aberkannt. Viele dankbare Bürger dieser Stadt ließen nicht locker, legten Fakten vor, so dass seit 2003 auf Beschluss des Senats Bersarin „wegen seiner Verdienste beim Aufbau Berlins“ Ehrenbürger des ganzen Berlin ist.

 

Für die deutsche Besatzungspolitik zwei Beispiele:

Die Wehrmacht belagerte jahrelang Leningrad. Hunger und Krankheiten sind schlichtweg unbeschreiblich, es kam Kannibalismus vor. Etwa eine Million Menschen verhungerten oder erfroren. (Trotzdem gab die Leningrader Philharmonie ein Beethoven-Konzert, während der Belagerung). Warum hat die Wehrmacht Leningrad nicht erobert? Heute haben wir es als Gewissheit: Hitler hat befohlen, die Stadt auszuhungern. Er wollte erstens die russische Bevölkerung bis auf Reste (Sklaven) ausrotten und zweitens nicht zwei Millionen Menschen zusätzlich am Hals haben, um die man sich irgendwie hätte kümmern müssen. „Es kann nicht deutlich genug betont werden: Die Blockade Leningrads ist ein Sonderfall der Geschichte, denn niemals zuvor ist die Einnahme einer Stadt ausgeschlossen und der Hungertod aller Einwohner eingeplant worden. Adolf Hitler erklärte kategorisch: ‚In die russischen Städte gehen wir nicht hinein, sie müssen vollständig ersterben’ (Andres von Westphalen). Die örtliche Generalität wusste das, einer hat es sogar in seinen Memoiren festgehalten – als Rechtfertigung dafür, dass er Leningrad nicht „genommen“ hat.

In Weißrussland hat die SS etwa 400 Dörfer auf folgende Weise vernich-tet: Die Bewohner wurden in eine große Scheune gesperrt, die von SS-Männern mit MP im Anschlag umstellt wurde. Andere SS-Männer schütte-ten Benzin an die Außenwände, dann wurde gezündelt. Es ist belegt, dass Mütter ihr Baby aus einem Fenster, aus einer Luke geworfen haben und dass der nächststehende SS-Mann dieses Baby in die brennende Scheune zurück geworfen hat. Anschließend wurde das ganze Dorf abgefackelt. Nebenbei: Übergriffe von Rotarmisten gegenüber Kindern, geschweige Babys, sind meines Wissens nicht bekannt. Als die sowjetischen Soldaten unter hohen Verlusten ihr Land zurück eroberten, fanden sie nicht nur verbrannte Erde sondern auch verbrannte Menschen vor. Ihr Zorn und ihr Wunsch nach Vergeltung sind verständlich. Deren schnelle Bändigung bleibt das historische Verdienst der Roten Armee.

 

Zum Film „Unsere Mütter, unsere Väter“, ZDF, März 2013

1. Dieser Krieg war ein Krieg, wie es ihn zumindest in der neueren Geschichte noch nie gegeben hat. Er war erklärtermaßen – wie im Film mehrfach ausgesprochen – ein Vernichtungskrieg und ein Weltanschauungskrieg mit den Ziel der Versklavung oder Vernichtung von „Untermenschen“. Das war allen deutschen Kriegsteilnehmern nicht nur bekannt, sondern wurde von sehr vielen aktiv mitgetragen, was inzwischen hinreichend dokumentiert ist.

2. Wer nicht will, dass deutsche Verwundete von Rotarmisten erschossen werden – in einer Situation, in der die Rote Armee für die eigenen Verwundeten bei weitem nicht ausreichend Lazarettplätze zur Verfügung hatte – der sollte keinen Krieg gegen die Sowjetunion beginnen. Und er sollte besser nicht 3,3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene durch Hunger, Seuchen und Exekutionen umbringen. Wer die im Film gezeigte Erschießung deutscher Verwundeter und andere Unmenschlichkeiten der Roten Armee mit den Verbrechen von SS und Wehrmacht moralisch gleichsetzt, übersieht die Ursachen dieser Taten und die konkreten Zusammenhänge, aus denen heraus sie geschehen sind.

3. Der Film zeigt uns die geradezu naturgesetzliche Verrohung und somit Selbstentfremdung so gut wie aller am Krieg beteiligten Menschen. Mit dem Zitat „Mir selber seltsam fremd“ überschreibt der Herausgeber das spät aufgefundene Kriegstagebuch des deutschen Soldaten Willy Peter Reese, das dem Film als Vorlage diente. Friedhelm, zunächst Schöngeist und dann kalter Kriegshandwerker und Zyniker, ist Reese und somit ein realer deutscher Soldat des Ostfeldzugs.

4. Fazit: Es darf uns nicht darum gehen, eine angebliche Schwarz-Weiß-Malerei aufzugeben – „der Russe hat ja auch …“. Es geht stets darum, die Verantwortlichen für diesen Krieg auf der Basis der historischen Fakten zu erkennen und zu benennen. Dann kann man auch anerkennen, und man sollte es, dass 3,8 Millionen junger Deutscher ebenfalls Opfer des Oberverbrechers Hitler und seiner Apparate einschließlich des Generalstabs geworden sind.
Ich verabscheue diesen Hitler auch deshalb, weil er Millionen überwiegend sehr junge Deutsche (und Italiener, Spanier, Rumänen, Kroaten) in dieses physische und psychische Elend und meistens in einen erbärmlichen Tod geschickt hat. Ich trauere um meine Landsleute, deren Leben von Hitler auf diese Weise vernichtet wurde. Sie hatten ja keine Wahl. Der „Stalingrad-Jahrgang“ war der Jahrgang 1923, die Soldaten waren also 19, 20 Jahre alt. Wie hätten sie denn ihrem Schicksal entkommen sollen?

 

Literaturempfehlung


Andreas von Westphalen: https://www.heise.de/tp/features/Hitler-In-die-russischen-Staedte-gehen-wir-nicht-hinein-sie-muessen-vollstaendig-ersterben-4288622.html?seite=all

Film Иди и смотри (Komm und sieh) von Elem Klimow, UdSSR 1985

Willy Peter Reese: Mir selber seltsam fremd. Die Unmenschlichkeit des Krieges. Russland 1941-44, München 2003

Erich Kuby: Die Russen in Berlin 1945, Bern und München 1965, 1980 und 1995

Anonyma: Eine Frau in Berlin. Tagebuchaufzeichnungen vom 20. April bis zum 22. Juni 1945, Frankfurt/M. 2003 (5. Auflage)

KONTAKTE-KOHTAKTbI e.V. (Hrsg.): Ich werde es nie vergessen. Briefe sowjetischer Kriegsgefangener 2004 – 2006, Berlin 2007“