Texte
alle Texte
Themen:

 

Lebenslauf

1938 in Wien geboren. Eine Woche nach meiner Einschulung Zerstörung der Schule durch Bomben. März 1945 Flucht nach Bayersoien in Oberbayern. Die Volksschule wurde von der US-Armee requiriert, also auch hier kein Schulunterricht. Lesen, Schreiben und Rechnen lernte ich bei meiner Mutter. 1947 Umzug nach Medebach/Sauerland. Auf der dortigen katholischen Volksschule mit fast neun Jahren mein erster geregelter Schulunterricht. 1950 Wechsel auf das dortige Progymnasium.

Dezember 1954 Umzug nach Hamburg. Gymnasium der Jesuiten, Sportverein, Pfadfinder, Junge Union. 1959 Abitur. Das mit Sozialdemokraten besetzte Kreiswehrersatzamt rettete mich vor der Einberufung zur Bundeswehr: Tauglichkeit 5, als Leistungssportler.

1959–1961 Studium der Volkswirtschaft in Freiburg. Wahl in den AStA der Universität. Fortsetzung des Studiums an der Freien Universität Berlin.

1969 Examen als Diplom-Volkswirt und als Diplom-Kaufmann. Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Finanzpolitik der FU, umfangreiche Lehrtätigkeit. Redakteur von Das Argument, Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaft.

1976 Eintritt in die Deutsche Handelsgesellschaft West-Ost GmbH, Berlin-West und Hamburg. 1989 ausgeschieden im Konflikt über die wirtschaftliche Entwicklung der DDR. Danach Mitarbeiter des Instituts für ökologische Zukunftsperspektiven in Barsinghausen. Anschließend Leiter des „Alternativen Kaufhauses Stattmarkt“, ein Großprojekt des Zweiten Arbeitsmarktes in Berlin-Kreuzberg.

1995–2001 nebenberuflich Dozent an der Technischen Fachhochschule Berlin, vor allem für Kommunalwirtschaft.

1980 bis 2004 Mitarbeit in der Berliner Volksuni.

Seit 2003 Rentner.

 

 

Mein Sozialismus

Kürzlich fragte mich Bundesbruder Kämpf, welcher Richtung des Sozialismus ich denn angehört habe, bzw. noch heute angehöre. Die Frage veranlasste mich, über meine politische Vergangenheit nachzudenken. Ich stieß auf beglückende Erlebnisse und auf Erfolge, vor allem aber auf Enttäuschung über Niederlagen und auf Resignation.

Die Wurzeln meines „Sozialismus“ liegen tief: 1953 der Sturz von Mossadegh im Iran durch CIA und britischem MI6, 1954 der Sturz von Arbenz Guzmán in Guatemala durch CIA und United Fruit Company. Damals befasste ich mich bereits mit den Problemen der Entwicklungsländer im Rahmen der Weltmission der katholischen Kirche, Vorbilder waren unter anderem Albert Schweitzer und Damian de Veuster, s. Wikipedia.

Dann bis zum Abitur Junge Union und Sozialarbeitskreis der CDU Hamburg.

Das Vwl-Studium in Freiburg war für mich unbefriedigend. In Berlin begegnete ich hervorragenden Keynesianern, z.B. lehrte dort der bekennende Corpsbruder Carl Föhl, auch der deutsche Keynes genannt. Und Andreas Paulsen, dessen Buch „Neue Wirtschaftslehre“ bis heute der ganzen an den Unis gelehrten neoliberalen Religion weit überlegen ist. Ich wurde Keynesianer.

 

Kapitalismuskritik

Studium und Beobachtung unserer Gesellschaft führten zu einer immer grundsätzlicheren Kritik am Kapitalismus. Die sozialen Gegensätze, der Vietnamkrieg, die 68er Jahre, der Italiener Danilo Dolci: Vergeudung, die US-Autoren Michael Harrington: Das andere Amerika, Vance Packard: Die große Verschwendung, und Die geheimen Verführer, sowie Galbraith: Die moderne Industriegesellschaft mit dem Kapitel Der revidierte Ablauf, beeinflussten mich stark. 1972 Club of Rome: Grenzen des Wachstums, und andere Schriften zum Gegensatz von Kapitalverwertung und Bewahrung der Natur.

Ich gewann die Überzeugung, dass eine humane Gesellschaft, vor allem eine humane Weltgesellschaft, nur jenseits des Kapitalismus möglich ist. Ich beschäftigte mich intensiv mit dem Problem der grenzenlosen Kapitalakkumulation: Investitionen und Wachstum für Profit in Geld, nicht für Gebrauchswerte zur Befriedigung der menschlichen Lebensbedürfnisse. Das ist auch heute noch meine Erkenntnis, leider habe ich recht – bis zum Untergang dieser Welt und dem Ende aller Debatten.

 

Das Argument

Ende der 60er wurde ich Redakteur der damals sehr respektierten und verbreiteten „Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften“, Das Argument. Ich redigierte und veröffentlichte. Vor allem lernte ich viel von Kollegen und Autoren. In dieser Zeit las ich in einem Kreis qualifizierter Ökonomen „Das Kapital“, unter Anleitung eines Philosophie-Professors aus der Redaktion. Meine Tätigkeit in dieser Zeitschrift machte mich bekannt, was zu einer ausgedehnten Vortragstätigkeit und zu Veröffentlichungen in anderen Zeitschriften führte.

Als ich Ende der 60er zu großen Veranstaltungen der kommunistischen SEW eingeladen wurde, wie 1. Mai oder Parteitag, mit immer weit über 1000 Männern und Frauen, traf ich dort auf einige hundert Jahre KZ. Diese Menschen haben mich beeindruckt: ernsthaft, schweigsam, niemals auf Bewunderung aus. Sie erzählten nur, wenn Du sie fragtest und sie Dir vertrauten. Aber was sie dann zu erzählen hatten!
Sie waren ausnahmslos Arbeiter und kleine Angestellte. Das Bürgertum hat in Weimar und ab 1933 versagt, von sehr ehrenwerten Einzelnen und kleinen Gruppen abgesehen.

Diese Begegnungen machten mir die SEW nicht gerade unsympathischer. Ich war von Kindheit an, auch in den Zeiten meiner Feuerrede, Gegner der Nazis: Bomben- und Fluchterfahrung, der Verlust der Ostgebiete, das Elend der Flüchtlinge, die zerstörten deutschen Städte. München, Marburg, Kassel, Wuppertal, Köln habe ich gleich nach 1945 gesehen, Hamburg 1954: Die Trümmer waren weg, aber Freiflächen bis zum Horizont. Im ARGUMENT veröffentlichten wir viel zum Nationalsozialismus und über den Widerstand gegen ihn. Besonders untersuchten wir bzw. unsere Autoren den Zusammenhang von Kapitalismus und Nationalsozialismus.

 

SEW und Eurokommunismus

Nach langem Zögern Anfang der 70er Eintritt in die SEW. Dort Enttäuschungen, ich war zu kritisch, zu realistisch – konnte dort nichts werden. Ich gehörte zu einer wachsenden Gruppe innerhalb und außerhalb der Partei, die dem Eurokommunismus positiv gegenüber stand. Diese Strömung entstand nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 innerhalb der kommunistischen Parteien des Westens. Ihr Ziel war die Demokratisierung der kommunistischen Parteien und ihre Öffnung für Bündnisse mit als fortschrittlich eingeschätzten Kräften außerhalb der traditionellen kommunistischen Parteien. Die bekannteste und aktivste Vertreterin des Eurokommunismus war die PCI, die kommunistische Partei Italiens.

Trotz der Kritik aus eurokommunistischen Parteien an der KPdSU und der Sowjetunion erschien 1973 in der DDR das Buch „Für eine demokratische Wende“ von Enrico Berlinguer, dem Vorsitzenden der PCI. Die Anstreichungen in meinem Exemplar, das alle Aussortierungen überstanden hat, erinnern mich daran, dass ich die fast 500 Seiten damals sorgfältig durchgearbeitet hatte.

 

Volksuni

Der Schwerpunkt meiner politischen Arbeit lag außerhalb der Partei als Mitorganisator der Volksuni. Diese veranstaltete über drei Jahrzehnte zu Pfingsten ein politisch-kulturelles Festival, das großen Zulauf und öffentliche Beachtung fand. Mein Arbeitsplatz dort war das „Friedensressort“. Vor allem während der „Nachrüstungsdebatte“ waren unsere international besetzten Veranstaltungen überlaufen. Wenige Jahre nach der Wende ging die Teilnehmerzahl stark zurück, wir verkleinerten uns quantitativ, aber nicht qualitativ – bis zuletzt konnten wir hochrangige Referenten gewinnen. 2004 gaben wir aus Altersgründen auf. Wir fanden keinen Nachwuchs.

In Veranstaltungen der Volksuni zum Thema Sozialismus und Demokratie kritisierte ich mehrfach die Zustände in den traditionellen kommunistischen Parteien, deutlich auch die Zustände in meiner eigenen Partei, der SEW. In meiner Parteiführung wurde ziemlich überraschend niemals ein Antrag auf meinen Ausschluss gestellt, aber meine Wahl zum Parteitagsdelegierten wurde lange hintertrieben.

 

Chile 1970 und 1973

Am 26. Oktober 1970 wurde der Sozialist Salvador Allende als Kandidat der Unidad Popular, einem Zusammenschluss der linken Parteien und fortschrittlicher Gruppen des Bürgertums, vom Parlament mit den Stimmen der Linken und der Christdemokraten zum Präsidenten Chiles gewählt. Diese und die vorausgegangene allgemeine Wahl verliefen exakt gemäß der chilenischen Verfassung. Wir feierten in der Partei diese Wahl, wir internen Kritiker hofften auf einen demokratischen Sozialismus und dessen Ausstrahlung auf die sozialistischen Länder. Ein deutsch-chilenischer Freund und Kommilitone von mir, mit dem ich das Vwl-Examen abgelegt hatte, wurde Beamter mit erheblicher Verantwortung im chilenischen Agrarministerium. Er war Mitglied der Sozialistischen Partei Allendes. An der Politik einschneidender sozialer Reformen der Unidad Popular war er engagiert beteiligt.

Am 11. September 1973 putschte ein Teil des Militärs nach Vorbereitung und unter Anleitung der CIA gegen Allende, rebellierendes Militär setzte ihn ab, belagerte ihn militärisch in seinem Amtssitz und trieb ihn in den Freitod. Gemäß dem rechten Demokratieverständnis wurden sofort die Parteien der Unidad Popular verboten, zahlreiche ihrer Anhänger ermordet und Konzentrationslager eingerichtet. Dem von den unteren Schichten geliebten Sänger und Gitarristen Victor Jara wurden die Hände gebrochen, bevor man ihn ermordete. Mein Freund kam sofort in eines der Lager, er wurde zwei lange Jahre gefangen gehalten. Letztlich rettete ihn seine doppelte Staatsbürgerschaft.

Bereits vor dem Putsch hatten die Rechten den verfassungstreuen Oberbefehlshaber des Heeres, den General René Schneider, mit von der CIA für diesen Zweck gelieferten Waffen ermordet. Für mich war der Putsch gegen die Regierung der Unidad Popular und die grausame Verfolgung ihrer Anhänger ein Schock, die folgenden Wochen gehören zu den bittersten meines Lebens. Zahlreiche chilenische Flüchtlinge kamen nach West- und Ostberlin, ich lernte einige von ihnen gut kennen. Eine Kinderärztin, die mit Mann und Kind unter großer Gefahr aus Chile fliehen konnte, brachte mir Spanisch bei.

 

Gorbatschow

Im März 1985 wurde Michael Gorbatschow zum Generalsekretär der KPdSU und damit zum mächtigsten Mann der Sowjetunion gewählt. Seine Reformpolitik, aber auch seine internationale Resonanz, änderte auch in der SEW vieles. Ich wurde in Parteigremien gewählt, nach dem Mauerfall in den 24er Kreis, aus jedem der 12 Westberliner Bezirke 2 gewählte Mitglieder, der de facto die Parteiführung übernahm. Die Partei war damals noch nach SPD und CDU die drittstärkste nach der Mitgliederzahl in Westberlin. Vorbereitung des außerordentlichen Parteitags (es sollte der letzte werden). Auf Grund des angefügten Referats wurde ich zum Hauptredner des Parteitags bestimmt. Diese Rede ist auch erhalten.

 

Ende der Geschichte

Gorbatschow wurde von einem Alkoholiker unter Einfluss des westlichen Kapitals hinweg geputscht. Die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder lösten sich auf. Die großen kommunistischen Parteien des Westens zerfielen, allen voran die stolze PCI. Die Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, für die wir uns mit ganzem Herzen eingesetzt hatten, mutierten an der Macht zu korrupten Diktaturen: Simbabwe, Angola, Mozambique, Vietnam, Nicaragua.

Nach der Auflösung der Sowjetunion sah ich mit Schrecken, dass sich der Kapitalismus jetzt ungehindert austoben kann: Überall grenzenlose Bereicherung einer kleinen Oberschicht, Sozialabbau, Rüstung, Interventionen in unabhängige Staaten, Zerstörung unserer natürlichen Lebensbedingungen bis zu deren Vernichtung. Der Untergang der Erde, wie wir sie kennen und wie sie uns ernährt, ist nicht mehr aufzuhalten. Kriege um Ressourcen, vor allem um Nahrung und Wasser, Naturkatastrophen, gewaltige unkontrollierbare Wanderungsbewegungen sind das Schicksal unserer Nachkommen, dem sie nicht ausweichen können – das sie aber nicht verschuldet haben.