Lothar Petzold, Ressortleiter Wirtschaft bei Neue Ruhr/Neue Rheinzeitung
im Interview mit DRadioKultur, 1.3.2007:
Der Vorstandsvorsitzende von RWE, Harry Roels, bezog im letzten Jahr ein Gehalt von 15 Mio. €, in den letzten 5 Jahren bezog er insgesamt 50 Mio. €.
Ein Facharbeiter müsste für 50 Mio. € über 1000 Jahre arbeiten.
Soweit Petzold.
Übertreibt er hier nicht maßlos? Wir rechnen nach:
Nehmen wir an,
1. Roels verfügte vor 5 Jahren über keine Ersparnisse.
2. Roels hat einen Durchschnittssteuersatz von ca. 40 % und ist ein ehrlicher Staatsbürger. Sein Netto-Einkommen der letzten 5 Jahre beläuft sich also auf 30 Mio. €, das des letzten Jahres auf 9 Mio. €.
3. Roels gibt im Jahr 1 Mio. € für Privates (Konsum, private Anschaffungen, z.B. Kunst) aus – für unsereinen unvorstellbar, wie man das schaffen kann. Dann blieben ihm zum Anlegen in den letzten 5 Jahren insgesamt 25 Mio. €. Bei einer Durchschnittsverzinsung von nur 5 % – wir berücksichtigen einerseits, dass er seine Spargroschen über das Jahr verteilt anlegt und andererseits, dass er auch steuerbegünstigte Anlagen wählen wird – erlöst er in jedem Jahr ab dem 5. allein für das bisher Gesparte 1.250.000 € brutto = 750.000 € netto. Sein tatsächliches Netto-Einkommen im 5. Jahr beläuft sich also auf 9.750.000 €.
4. Herr Roels legt seine Zinsen nicht wieder an, sondern erhöht um diese Beträge seine privaten Ausgaben oder spendet sie für gute Zwecke und gewinnt damit Einfluss.
5. Unser Facharbeiter verdient im Jahr 30.000 € brutto. Sein Durchschnittssteuersatz liegt dann bei ca. 19 % (Grundtabelle). Er verfügt somit über netto 24.300 € im Jahr.
Um auf ein Nettoeinkommen von 9.750.000 € zu kommen, müsste der Facharbeiter 401 Jahre ununterbrochen arbeiten. Aber schon im 6. Jahr ist das Einkommen von Herrn Roels selbst dann gestiegen, wenn wir Konstanz der Bezüge von RWE unterstellen: Er hat seine Ersparnisse um 8 Mio. € erhöht, was ihm mit 400.000 € an Zinsen honoriert wird. Nach Steuern bleiben ihm 240.000 €. Sein gesamtes Nettoeinkommen im 6. Jahr beläuft sich somit auf 9.990.000 € (9 Mio. Bezüge + 750.000 alte + 240.000 neue Zinsen).
Unser Facharbeiter müsste jetzt 411 Jahre ununterbrochen arbeiten, um mit dem aktuellen Jahresnettoeinkommen des Herrn Roels gleich zu ziehen.
Über die Jahre 7, 8 ff. wollen wir jetzt nicht mehr reden. Mit jedem Jahr, in dem sich der Facharbeiter abrackert, um einmal dort anzukommen, wo Herr Roels im 5. Jahr war, vergrößert sich auch der relative Abstand zwischen den beiden Marktteilnehmern erheblich, Roels Einkommen entwickelt sich exponentiell, das des Arbeiters linear. Diese Schere würde sich noch deutlich stärker spreizen, wenn wir realistischer Weise auf die Annahme, dass die Zinsen nicht wieder gespart werden, verzichtet hätten.
Da ist die Frage, wie lange der Facharbeiter brauchen würde, um die Einkünfte des Herrn Roels der letzten 5 Jahre zu erreichen, eigentlich nur noch von mathematischem Interesse. Rechnen wir das trotzdem mal durch.
Nehmen wir an, die 50 Mio. des RWE-Vorstandsvorsitzenden verteilen sich auf die 5 Jahre wie in der Tabelle angegeben. Dann hat sein Einkommensfluss den folgenden Verlauf:
Vom ersten Jahr bis zum Wechsel vom 5. zum 6. Jahr, wenn der Facharbeiter seine Aufhol
jagd beginnt, beläuft sich das Einkommen von Herrn Roels also nicht auf „nur“ 50 Mio. € brutto, sondern auf 53.150.000 € = 31.890.000 € netto. Mit seinen 24.300 € netto hat der Facharbeiter 1.312 Jahre und vier Monate Zeit, um mit dem Einkommen des Herrn Roels der Jahre 1–5 gleichzuziehen. Petzold hat diese Relation also noch unterschätzt.
Nebenbei zeigt die Tabelle, dass Herr Roels bereits im ersten Jahr das 2½ fache dessen an Zinsen einnimmt, was unsere Vergleichsperson mit der harten Arbeit eines Jahres verdient, im 5. Jahr schon mehr als das 24fache – eine ziemlich schlechte Voraussetzung für das Gelingen einer Aufholjagd.
Wollen wir jetzt wirklich noch ausrechnen, was der Herr Roels in 1.312 Jahren verdient haben wird und wie groß das Vermögen ist, das er in dieser Zeit anhäuft? Wir sehen ja bereits, wie es geschehen konnte, dass in Deutschland 0,5 Prozent der Bevölkerung ein Vermögen von zusammen 2 Billionen € = 25 % des Gesamtvermögens ihr eigen nennen dürfen (1999), und warum der unteren Hälfte der Bevölkerung 4 %, dem obersten Zehntel jedoch 47 % des deutschen Gesamtvermögens gehören (2003).
Unsere gesellschaftliche und staatliche Realität ist weiter denn je entfernt von einer substantiellen, materiellen Demokratie, wir haben bestenfalls halbwegs eine formale. Die Verteilung der wirtschaftlichen Güter, und damit der Lebensmöglichkeiten, ist ungleicher als in der Feudalzeit. Wofür also war der Jahrhunderte währende Kampf für Demokratie? Mittelalterliche Frühaufklärung, Reformation, Bauernkrieg, Aufklärung, Urburschenschaft und Demagogenverfolgung, 1848/49, 1918/19, Weimar, Widerstand, Grundgesetz, vom Kampf für Gemeineigentum und Mitbestimmung ganz zu schweigen – alles vergebens?
Für die ungerechte Verteilung der irdischen Güter. Für die gerechte Verteilung der überirdischen Güter.
Bertold Brecht: Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, Losung der Demonstration der noch nicht Erledigten.
8.3.2007
Gerade war der Text geschrieben, da kommt RWE wegen des Verdachts des Strompreis-Betrugs ins Gespräch. Auch die 50 Mio. des Vorsitzenden müssen erst einmal verdient werden.
Nachtrag: Leserbrief an die taz:
Verelendung in den Kernländern
betr.: „Eine Qual? Nein, ein Epos“, Leserbrief „Marx hat recht“, taz vom 4./5. und 10. 2. 17
Verelendung und Ausbeutung sind überall dort in der Dritten Welt, wo Rohstoffe für die kapitalistischen Industrieländer gefördert und produziert werden, unerträglich, auch für die Menschen, die nicht in den Minen arbeiten, sondern lediglich in den Abbaugebieten leben. Ohne diese Ausbeutung von Menschen und großflächige Verwüstung der Lebensräume könnte der Kapitalismus nicht existieren.
Das reicht ihm aber nicht, auch in seinen „Kernländern“ nimmt die Verelendung rasant zu. Die Zusteller von Post und DHL, die Austräger, die Müllabholer, die Reiniger von Gebäuden und Straßen, die Kassierer und Regal„pfleger“, die Arbeiter an den Baustellen, die Busfahrer – jeweils auch -innen, die Arzthelferinnen, Krankenschwestern, Pfleger und -innen, die Mindestlöhner, das Heer der kleinen „Selbstständigen“: geringe Einkommen, steigende Mieten und Energiekosten, sinkende Renten bei steigenden Beiträgen, und alle ohne Schutz durch eine Gemeinsamkeit der Lohnabhängigen. Eine ZDF-Dokumentation über die Arbeitsbedingungen bei der Deutschen Post und bei der DHL begann mit der Aktionärsversammlung der Deutschen Post: Die Anzugträger und – vereinzelt – Kostümträgerinnen zeigten sich höchst besorgt über die Entwicklung ihrer Dividenden. Dann kamen diejenigen ins Bild, die diese Dividenden erwirtschaften: die Zusteller und Zustellerinnen, die Lkw-Fahrer. Sie sind sämtlich Opfer raffinierter Arbeitsintensivierung und Lohndrückerei. Unvorstellbar, dass diese Arbeiter und Arbeiterinnen die ihnen repressiv abgeforderte Leistung noch mit 66 liefern können, unvorstellbar, dass ihre Renten für ein Leben jenseits von Verelendung reichen werden.
Bernd Schüngel, Berlin