Texte
alle Texte
Themen:

Juni | 2016

Unsere Kinder und Enkel


Was wir hinterlassen

 

In einem Austausch über die Zukunft unseres Landes meinte ein Freund aus meiner Generation, wir Alten sollten die Gestaltung Deutschlands, Europas und der Welt allmählich unseren Kindern und Enkeln überlassen. Alter und Tod regeln das aber ohnehin. Unsere Nachkommen werden es machen müssen. Darin sind sie jedoch nicht frei, sie übernehmen die Welt und dieses Land so, wie wir sie ihnen hinterlassen. Damit sind, wie bei jeder Generationen, die Handlungsspielräume schon erheblich eingeengt. Grundsätzlich nichts Schlechtes, es kommt auf das Erbe an.

Was wir ihnen übergeben:
– ein demokratisches Land, Gewaltenteilung, Rechtsstaat auf der Basis gleichen Rechts für alle, weltanschauliche Freiheit im Rahmen des Kantschen Imperativs, ein hohes Maß an individueller Freiheit,

– eine effiziente, produktive Volkswirtschaft, die fast allen Bürgern ein Leben ohne materielle Not ermöglicht. Die meisten dürfen auch an der Erstellung des gemeinsamen Produkts mitarbeiten,

– eine unseren Bedürfnissen und unserer Wirtschaftskraft angemessene Infrastruktur, die in der Welt ihresgleichen kaum findet,

– ein Sozialsystem, das jedem Bildung an öffentlichen Schulen ermöglicht und jedem medizinische Versorgung gewährt, Altersarmut noch immer weitgehend verhindert und Notlagen überbrückt.

Diese Errungenschaften müssen erhalten und verteidigt werden. Unsere Kinder und Enkel werden hier eine Menge zu tun haben. Die lange Zeit höchst leistungsfähige Infrastruktur haben wir verschlissen. Unsere Nachkommen müssen sie mit hohem Aufwand instandsetzen. Die Sozialsysteme sind den heutigen beruflichen und demographischen Gegebenheiten anzupassen. Wir können den Nachkommen die Gestaltung ihres Lebens erleichtern, indem wir für unsere Zivilisation eintreten, so lange noch Leben in uns ist. Und indem wir ihnen das scheinbar Selbstverständliche als Ergebnis der Arbeit von Generationen vermitteln, gleichzeitig mit Vermittlung des Willens, diese Errungenschaften zu verteidigen.

Wir übergeben unseren Kindern und Enkeln aber auch die Klimakatastrophe, die Vernichtung lebenswichtiger Ressourcen wie Regenwälder, Weltmeere, fruchtbare Böden, Trinkwasser, wir übergeben gewaltige Müllhalden, von denen einige noch in mehreren hunderttausend Jahren für Menschen tödlich sind.

Wir übergeben ihnen eine zweigeteilte Welt mit großer Sprengkraft: Menschenmassen auf der Flucht vor Landraub, Dürre, Überschwemmungen, Bodenerosion, leergefischten Meeren, Seen und Flüssen. Sie landen in Megaslums der Megastädte ohne Chance, ihre Welt und ihr Leben lernend und in produktiver Arbeit zu gestalten. Ihr kreatives Potential wird niemals abgerufen, so lange dieses System besteht. Sie wer-den auf Dauer einfach nicht gebraucht. Die Zahl der nicht mehr Gebrauchten wächst auch in den Industrieländern.

Wir übergeben ihnen eine auch in anderer Hinsicht zweigeteilte Welt. Niemals in der Geschichte der Menschheit waren Güter und Geld so ungleich verteilt wie in der Gegenwart. Diese Verteilung entstand in unserer aktiven Lebenszeit. Wir haben diesen Prozess zugelassen, bzw. wir konnten ihn nicht aufhalten. Die unfassbar ungleiche Verteilung von Vermögen und Einkommen schränkt die politischen, sozialen und ökonomischen Gestaltungsmöglichkeiten unserer Nachkommen erheblich ein. Sie macht mutlos und befördert Resignation.

Wir vererben Waffenarsenale, die auf unserem Planeten Erde jegliches Leben vielfach auslöschen können. Die Macht zu ihrem Einsatz liegt in den Händen weniger Politiker und Militärs, die unter dem beharrlichen Druck der Atomwaffenindustrie stehen.

Wir übergeben ihnen ein global herrschendes Wirtschaftssystem, das wie besessen nach Wachstum schreit – entsprechend seiner inneren Dynamik bei Strafe seines Un-tergangs nach Wachstum schreien muss. Dieses System hat einen unendlichen Hunger nach endlichen Ressourcen – und es lässt niemals die Frage zu: Warum und wozu brauchen wir Wachstum? Woran fehlt es denn? Bedeutet Wachstum, dass primär das produziert wird, woran es mangelt? Mitnichten: Waffenarsenale, Abenteuer im Weltraum, noch mehr überdimensionierte Autos, die unseren Kindern den na-türlichen Lebensraum nehmen, Modezwang, eine endlose Masse von Kinkerlitzchen ohne jeden Gebrauchswert, geplante Obsoleszenz – das alles braucht kein Mensch. Schon gar nicht bei gleichzeitigem Mangel an guten Kindertagesstätten, Schulen, an Raum für kulturelle und wissenschaftliche Betätigung, an Krankenhäusern, Pflegestätten, bei zunehmender Kinder- und Altersarmut.

Wir übergeben ihnen eine Arbeitswelt, deren Wesen gnadenlose Konkurrenz ist. Das erfahren sie bereits in der Schule, im Kampf um ihre Ausbildung und vor allem im Kampf um einen Arbeitsplatz, der ihnen auch perspektivisch den Lebensunterhalt sichert. Haben sie einen Arbeitsplatz, müssen sie in der ständigen Sorge leben, diesen an einen besser Bewerteten zu verlieren. Empathie und Solidarität als Vorausset-zung eines Gemeinschaftslebens, das diesen Namen verdient, sind nur noch rudimentär wirksam. Dieser Prozess scheint sich fortzusetzen.

Wir haben es nicht vermocht, die Vervielfältigung der Arbeitsproduktivität und die Fortschritte der Wissenschaft in mehr Zeit für die schönen und wertvollen Bereiche des Lebens umzusetzen.

Unsere Kinder und Enkel werden es schwer haben, die nächsten Schritte in Richtung einer humanen, vernünftig genutzten Welt zu gehen. Erleichtern wir Alten ihnen diese Schritte, so weit und so lange es unsere Kraft zulässt.