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August | 2019

Referent an der Polizeischule Spandau


„Diskussionskommando“

 

Frühjahr 1970. Abends Großveranstaltung der studentischen Protestbewegung im Audimax der FU. Ich kam vom U-Bahnhof Dahlem Dorf und befand mich auf dem Weg zum Henry-Ford-Bau. In der Brümmerstraße parkte ein Mannschaftswagen der Polizei. Am Fahrzeug standen etwa zehn jüngere Männer in Zivil. „Was wollen die hier wohl?“ dachte ich. Sicherlich auch ins Audimax. In Zivil. Das fühlte sich für mich nicht gut an. Ich blieb in einigem Abstand stehen und versuchte mir die Gesichter, Kleidung usw. einzuprägen.

Im überfüllten Audimax angespannte bis erregte Stimmung. Es ging um eine Demo in der Stadt am nächsten Tag. Ich sah mich um – und fand meine Polizisten in Zivil, locker verteilt in der vorderen Hälfte der Sitzreihen. Vom Rednerpult aus zeigte ein Teilnehmer auf einen Mann mittleren Alters ganz vorne und sagte: „Den kenne ich. Der ist ein Bulle.“ Unruhe im Saal. Der Erkannte, ganz die Ruhe, bat ums Wort. Er bekam es. Ja, er sei von der Polizei. Er sei hier, um gewaltsamen Auseinandersetzungen morgen einvernehmlich mit uns vorzubeugen. Er sei der einzige Polizist im Raum.

Ich ging ans Mikrofon und sagte: „Jetzt zeige ich Euch, wer noch alles von der Polizei hier ist“. Ich verließ das Podium, ging in den Mittelgang und zeigt auf einen wieder erkannten Polizisten, und auf noch einen und sagte laut und deutlich: Das sind Polizisten, ich zeige Euch noch mehr.“ Aber das war nicht nötig. Die ca. 10 Zivilpolizisten sprangen gleichzeitig auf, drängten grob aus den Reihen und verließen im Laufschritt das Audimax.

Dieses Ereignis prägte kurz die Debatte. Gegen Ende der Veranstaltung verließ ich das Audimax, wollte wohl zur U-Bahn, um zu Anke zu fahren. Plötzlich fand ich mich von den Zivilpolizisten umringt. Sie würden gerne mit mir sprechen, sagten sie höflich. Ich fand mich dazu bereit, sie baten mich, ihnen an einen ruhigeren Ort ganz in der Nähe zu folgen (oder in ihr Fahrzeug? Ich weiß es nicht mehr).

Ihr Anführer fragte mich, warum ich das denn getan hätte. Sie wollten ja nur lernen, das Thema der Veranstaltung habe sie interessiert. Ob wir was gegen die arbeitende Bevölkerung hätten. Das klänge doch bei uns immer ganz anders. Ich konnte nicht anders als mich über diese Ausrede lustig zu machen. Lernen gehe anders, sagte ich, und außerdem fährt man eher nicht im Mannschaftswagen der Polizei zum Lernerlebnis bei der studentischen Opposition.

So ging das ein Weilchen hin und her, sie waren höflich und sogar freundlich. Sie erfuhren auch, dass ich Uni-Assistent und ARGUMENT-Redakteur sei und auch selber veröffentliche. Da lud mich ihr Anführer plötzlich ein, vor ihnen in der Polizeischule ein Referat zu halten. Sie seien das Diskussionskommando, davon habe ich doch gehört, oder nicht? Ich war ganz schön baff. Ich sagte zu.

Zum ersten Vortrag wurde ich mit einem Polizei-Jeep abgeholt. Meine Wirtin in Lichterfelde sagte mir abends: Sie und ihr Mann hätten mit Freude gedacht, dass endlich dieser Rote verhaftet worden sei. Als ich sie aufklärte, brach für sie eine Welt zusammen. „Armes Deutschland …“ und so weiter.

Schon beim ersten Vortrag überraschten mich Grundkenntnisse und Interesse dieser Polizisten. Wir erarbeiteten gemeinsam ein Programm, ich engagierte mit deren freudiger Zustimmung zwei weitere Referenten: Friedrich Tomberg und Alex Schubert.

Das lief eine ganze Weile richtig gut, zur Freude beider Seiten. Auf Demos traf man sich gelegentlich, fast in Freundschaft. Dann wurde uns mit echtem Bedauern mitgeteilt, dass die Polizeiführung unser Programm „erst einmal“ beendet habe. Inzwischen war die Entwicklung weiter gegangen. Das Diskussionskommando war immer weniger eine Gefahr für die oppositionelle Bewegung, es wurde aber eine Gefahr für die Polizei. Es entstand aus diesem Kreis sogar eine „Basisgruppe Polizei“, mit dem Ziel, die Ausbildungs- und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das Diskussionskommando wurde aufgelöst.

Einige Kontakte blieben eine Zeitlang bestehen, nicht nur auf Demos. Ich erfuhr, dass diese Polizisten sehr enttäuscht und verärgert waren darüber, wie ihre vernünftigen Gedanken und Vorschläge, ihr Verständnis für einige Ansichten der Studenten von oben abgeschmettert und diffamiert wurden. Einige aus dem Kommando verließen den Polizeidienst. Einer, der blieb, wurde in den Folgejahren etwas Höheres, er fiel stets durch Mäßigung auf. Seinen Namen habe ich leider vergessen.