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Juli | 2015

Leserbrief an die taz


DDR: Würdigung des nicht-kommunistischen Widerstands

 

Betr.: 20. Juli, Fortsetzung, von Gemma Pörzgen, taz vom 24. Juli 2015

Diesen Artikel habe ich mit Freude und Zustimmung gelesen. Einer Aussage muss ich aber ganz entschieden widersprechen.

Gemma Pörzgen schreibt: „während die DDR allein den kommunistischen Widerstand gelten ließ.“ Das ist ein Vorurteil aus der Zeit des Kalten Kriegs.

In meiner kleinen Bibliothek finde ich diese Publikationen aus Verlagen der DDR, die das Gegenteil beweisen:

– Heinrich Vogel (Hg.): Der Prediger von Buchenwald. Das Martyrium Paul Schneiders, Berlin-DDR 1961

– Buchenwald – Mahnung und Verpflichtung. Dokumente und Berichte, Berlin-DDR 1961. Würdigung aller Widerstandsgruppen

– Bruno Baum: Widerstand in Auschwitz, Berlin-DDR 1957. Mit Würdigung der Opfer und der Kämpfer aus allen Richtungen, Berlin-DDR 1961

– Franz Herberhold: A.M. Wachsmann. Ein Opfer des Faschismus, Leipzig 1963

– Otto Ogiermann SJ: Bis zum letzten Atemzug. Der Prozess gegen Bernhard Lichtenberg, Leipzig 1968

– Klaus Drobisch: Wider den Krieg. Dokumentarbericht über Leben und Sterben des katholischen Geistlichen Dr. Max Josef Metzger, Berlin-DDR 1970

– Margot Pikarski: Jugend im Berliner Widerstand. Herbert Baum und Kampfgefährten, Berlin-DDR 1978. Würdigung auch der nicht-kommunistischen Widerstandskämpfer um Herbert Baum

– Klaus Drobisch u. Gerhard Fischer (Hg.): Ihr Gewissen gebot es. Christen im Widerstand gegen den Hitlerfaschismus, Berlin-DDR 1980

– Dieselben: Widerstand aus Glauben. Christen in der Auseinandersetzung mit dem Hitlerfaschismus, Berlin-DDR 1985– Kurt Finker: Stauffenberg und der 20. Juli 1944, Berlin-DDR 1975

– Ders.: Graf Moltke und der Kreisauer Kreis, Berlin-DDR 1980

Die mit Abstand beeindruckendste und nützlichste Publikation aus der DDR ist das vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED herausgegebene zweibändige Werk „Deutsche Widerstandskämpfer 1933–1945. Biographien und Briefe“, Berlin-DDR 1970. Hier finden sich, jeweils sorgfältig recherchiert und respektvoll gewürdigt, die Biographien unzähliger Opfer, die nicht aus dem kommunistischen Milieu kamen. Aus insgesamt hunderten von Biographien seien hier genannt: Margarete Blank, Rudolf Breitscheid, Paul von Essen, Georg Groscurth, Horst Heilmann, Caesar von Hofacker, Kurt Huber, Julius Leber, Theodor Lessing, Wilhelm Leuschner, Bernhard Lichtenberg, Hans Litten, Ludwig Marum, Max Josef Metzger, Helmuth James von Moltke, Erich Mühsam, Carl von Ossietzky, Adolf Reichwein, Hans Rummer, Paul Schneider, Gertrud Seele, Hans und Sophia Scholl, Oda Schottmüller, Claus Schenk von Stauffenberg, Adam von Trott zu Solz, Peter York von Wartenberg.

Selbstverständlich waren die meisten der in diesen Bänden für uns aufbewahrten Widerstandskämpfer Kommunisten oder Sozialdemokraten. Aber das entspricht der Realität des Widerstands. Es ist nicht die Schuld der DDR, dass das deutsche Bürgertum bis auf sehr ehrenwerte Einzelne vor dem Nationalsozialismus versagt hat.

 

Nachträglich:

Die „Moabiter Sonette“ von Albrecht Haushofer erschienen 1975 in Berlin-DDR. Im Klappentext heißt es:
„… ein historisches Dokument, das wir mit Respekt vor dem Wollen und Tun seines Verfassers betrachten. Denn die „Moabiter Sonette“ legen auf subjektiv ehrliche Weise Zeugnis ab von der komplizierten und in sich durchaus widerspruchsvollen Wandlung eines bürgerlichen Intellektuellen zu einem sich aktiv engagierenden Antifaschisten. Sie dokumentieren eine Quelle des Widerstandes gegen den Faschismus: eine ethische Verantwortlichkeit, die auf Traditionsbewusstsein, auf philosophische Überzeugungen und auf religiös motivierte Gewissensentscheidungen gegründet ist.“

In Berlin-Pankow erhielt bereits 1951 die „Erweiterte Oberschule Carl-von-Ossietzky“ ihren Namen.

Nach 1945 wurden in zahlreichen deutschen Städten, in der Bundesrepublik und in der DDR, Straßen und Plätze nach den Geschwistern Scholl benannt, so bereits 1949 im Ostberliner Bezirk Mitte. Daneben gab und gibt es zahlreiche Geschwister-Scholl-Schulen in Deutschland, davon mindestens 15 in der DDR (Wikipedia).

Die Geschwister Hans und Sophie Scholl waren Motiv einer Briefmarke der DDR von 1961.

Sieht so „nicht gelten lassen“ aus?

 

Noch ein Nachtrag:

Kunst im Widerstand. Malerei Graphik Plastik 1922 bis 1945
Herausgegeben und eingeleitet von Erhard Frommhold
Vorwort von Ernst Niekisch

VEB Verlag der Kunst Dresden 1968

Der Band im Großformat würdigt auf 584 Seiten 332 Künstler mit verschiedenem weltanschaulichen und politischen Hintergrund aus 23 Ländern, die mit ihrer Kunst Widerstand gegen Diktaturen und inhumane Tendenzen leisteten.

Ein in jeder Hinsicht großartiger Band.

 

Weitere Literatur:

Wir schweigen nicht! Eine Dokumentation über den antifaschistischen Kampf Münchner Studenten 1942/43
Herausgegeben und mit einer biographischen Skizze der Geschwister Scholl eingeleitet von Klaus Drobisch, 3. überarbeitete und ergänzte Auflage, Berlin-DDR 1977

Kinga Strzelecka OSU: Maksymilian M. Kolbe. Für andere leben und sterben, 2. Auflage Leipzig 1983

 

Film:

Janusz Korczak
1988 entstand im DEFA Studio für Dokumentarfilme, Berlin, über Janusz Korczak ein biographischer Filmessay von Walther Petri und Konrad Weiß mit dem Titel Ich bin klein aber wichtig.