Vorbemerkung:
Berlin, die Hauptstadt des Nazistaates, war auch die Hauptstadt des Widerstands gegen ihn. Nirgendwo in Deutschland hat es so viel aktiven Widerstand gegeben, nirgendwo forderte er so viele Opfer wie in Berlin. Nirgendwo wurden im Verhältnis so viele Verfolgte, vor allem Juden, versteckt wie hier, unter Lebensgefahr auch der Versteckenden. Nirgendwo sonst in Deutschland erzwangen Frauen mit öffentlichen Demonstrationen die Freilassung ihrer jüdischen Männer wie in der Berliner Rosenstraße, und in keiner anderen Stadt wurde in der Kristallnacht die SA von einem Polizeioffizier daran gehindert, eine Synagoge niederzubrennen.
In keiner anderen deutschen Stadt oder Region konnte sich der Ungeist der Nazis so schwer im öffentlichen Raum, aber auch in vielen privaten Räumen durchsetzen, konnte das braune Milieu so wenig zum herrschenden Milieu werden wie in Berlin. „Bei den Reichstagswahlen von 1930 und 1932 waren die Ergebnisse der NSDAP in Berlin durchweg deutlich schlechter als im Reichsdurchschnitt. … Berlin war auch in der Endphase der Republik noch immer eine ´rote´ Stadt, in der SPD und KPD zusammen mehr als die Hälfte aller Stimmen erhielten. … Mit dem Stimmzettel ist Berlin … von den Nationalsozialisten bis 1933 nicht erobert worden. … Trotz der erfolgreichen ´Gleichschaltung´ des öffentlichen Lebens – schon im März 1933 wurde ein besonderer Staatskommissar für die Reichshauptstadt eingesetzt – blieb Berlin unter nationalsozialistischer Herrschaft eine innerlich gespaltene Stadt“ (Reinhard Rürup, S. 92).
Bei der letzten freien Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 1929 wurde die KPD die stärkste Fraktion.
Aber auch in Berlin haben große Massen dem Hitler zugejubelt, und auch in Berlin hat die Mehrheit 12 Jahre lang weggesehen. Auch in Berlin unternahm die Justiz nichts gegen die sofort nach dem 30. Januar 1933 einsetzenden schweren Rechtsbrüche der Nazis. Das Preußische Kammergericht, diese „große, alte und stolze Institution brach ruhmlos vor den Nazis zusammen“ (Sebastian Haffner, S. 152). Und auch in Berlin gab es die niederträchtigste und feigste menschliche Tat: die Denunziation.
1. Widerstandsgruppe um Herbert Baum
Wir treffen uns am – ziemlich heruntergekommenen – Gedenkstein für die Gruppe Baum am Lustgarten, Ecke Karl-Liebknecht-Straße.
Herbert Baum, geb. 1912 als Kind einer deutsch-jüdischen Familie, Elektriker, 1932 KJVD, ab 1940 Zwangsarbeiter bei Siemens & Schuckert.
Nach der Übergabe der Macht an die Nazis 1933 sammelte er überwiegend jüdische linke Jugendliche um sich – zeitweise gehörten dieser „Gruppe Herbert Baum“ bis zu 100 Jugendliche an, darunter auch Ehepaare wie Herbert und Marianne Baum, Martin und Sala Kochmann (Gedenktafel in der Gipsstr.).
Tätigkeit der Gruppe: politische Studien und Debatten, Flugblätter, Unterstützung von Zwangsarbeitern, Hilfe beim Untertauchen.
18. Mai 1942: Angehörige der Gruppe unternehmen einen Sprengstoffanschlag auf die NS-Ausstellung „Das Sowjetparadies“. Sofortige Verhaftung des Großteils der Gruppe, wahrscheinlich durch Verrat. Hinrichtung von 28 bzw. 34 Mitgliedern. Langjährige Haftstrafen für etwa 50 Mitglieder der Gruppe.
Herbert Baum selbst starb in der Haft – durch Mord oder durch Suizid.
Am 28./29. Mai 1942 wurden in einer „Vergeltungsaktion“ 500 Berliner jüdische Männer verhaftet, von denen die Hälfte sofort erschossen und die andere Hälfte ins Konzentrationslager gebracht wurde.
Ehrengrab für die Ermordeten der Gruppe Baum auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee. Dort gibt es eine Herbert-Baum-Straße.
2. Die Frauen von der Rosenstraße
Über die Friedrichsbrücke, vorbei am Standort der durch Bomben zerstörten Garnisonskirche und am Denkmal für Ernst Litfaß, natürlich eine Litfaß-Säule, erreichen wir die Rosenstraße. Wir verweilen am Denkmal Block der Frauen, das an den Protest von Frauen gegen die Deportation ihrer als jüdisch geltenden Männer erinnert.
27. Februar 1943 – „Fabrikaktion“ von SS und Gestapo. Verhaftung der noch verbliebenen Juden, Sammellager „zur Durchschleusung“. Darunter ca. 2000 „nichtarische“ Partner aus „Mischehen“, die „aussortiert“ und hier in ein Gebäude der Jüdischen Gemeinde verbracht wurden.
Bereits am Abend dieses 27. Februars sammelte sich eine Menschenmenge vor dem Gebäude: Frauen und Angehörige der Inhaftierten. Fortsetzung der Proteste in den folgenden Tagen. Es waren immer einige 100 Protestierende. Ergebnis: Rückholung von 25 bereits nach Auschwitz deportierten Mischehen-Juden. Dann Entlassungen nach und nach. Wahrscheinlich kamen alle der ca. 2000 Verhafteten nach und nach frei.
Strittig ist unter Historikern, ob diese „Mischehen-Juden“ nicht ohnehin wieder freigelassen werden sollten oder ob ihre Freilassung auf den Druck der protestierenden Angehörigen hin erfolgte. Für die moralische Wertung des Protestes ist dies aber ohne Bedeutung.
3. Alte Synagoge
Von der Rosenstraße zweigt die Heidereutergasse ab. Dort befand sich die Alte Synagoge, was eine Informationstafel dokumentiert.
Erbaut 1712–1714 als erste zentrale Synagoge der Jüdischen Gemeinde Berlins, als „Große Synagoge“ bezeichnet. Bausumme unbekannt, keine finanzielle Unterstützung der Regierung. Gebaut im Stil der einfachen Kirchenbauten unter FW I. Sophie Dorothea, die Frau des Königs, nahm an der Einweihung teil.
Einbau einer Frauenempore im Rahmen eines umfassenden Umbaus durch den Architekten Eduard Knoblauch 1854/1855. Nach der Einweihung der Neuen Synagoge in der Oranienburger Str. 1866 blieb die Alte Synagoge das Gotteshaus der Orthodoxen Gemeinde.
Keine Zerstörung in der Pogromnacht vom 9./10. November 1938, wohl wegen der geschützten Lage inmitten von Häusern – Brandgefahr. Oder deshalb nicht, weil die Immobilie bereits vorher von der Deutschen Reichspost „erworben“ worden war. Völlige Zerstörung durch Bomben im 2. Weltkrieg.
4. Blindenwerkstatt Otto Weidt
Über den Hackeschen Markt gelangen wir zur Rosenthaler Straße. In einem der vielen alten Gewerbehöfe befindet sich die Blindenwerkstatt Otto Weidt.
Otto Weidt, geb. 1883 in Rostock und gestorben 1947 in Berlin, als junger Mann engagiert in der anarchistischen Arbeiterbewegung (Proudhon, Bakunin, Kropotkin, Erich Mühsam …). Weidt war Pazifist. Nicht im WK I wegen eines Ohrenleidens. Später auch weitgehend erblindet. Anfang der 1940er Jahre eröffnete er die Blindenwerkstatt in diesen Räumen. Er schaffte es, dass seine Werkstatt als „wehrwichtiger Betrieb“ anerkannt wurde.
Otto Weidt
„Es gelang Weidt durch gute Beziehungen, Bestechung, Passfälschung und mit Unterstützung von Hedwig Porschütz seine größtenteils jüdischen Mitarbeiter zu versorgen und zunächst vor den einsetzenden Deportationen zu schützen. Zu ihnen zählten Inge Deutschkron, Hans Israelowicz und Alice Licht. Die 1922 geborenen Zwillinge Anneliese und Marianne Bernstein konnte er bei Hedwig Porschütz unterbringen. Sie nahm beide in ihre kleine Wohnung auf, versorgte sie und sicherte ihr Überleben.
Unter großem Aufwand organisierte Otto Weidt die Versorgung von wenigstens 25 Menschen, die im Ghetto Theresienstadt inhaftiert waren, mit Lebensmittelpaketen, die unter Verwendung zahlreicher fingierter Absender geschickt wurden. Von den bedachten Personen überlebten drei; die anderen wurden im Herbst 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet. – Die Familie Horn versteckte er in einem Hinterraum seiner Werkstatt, bis sie nach neun Monaten von einem jüdischen Gestapo-Spitzel verraten wurde“ (Wikipedia).
Exkurs:
„Vom Abtransport in die Todeslager blieben zunächst diejenigen verschont, die mit einem Nicht-Juden verheiratete waren. Andere fanden die Möglichkeit, unterzutauchen und sich so dem Zugriff des Verfolgungsapparates zu entziehen. Aber auch das gelang nur, wenn ihnen ,Arier‘ dabei halfen. Von den 5.000 Berliner Juden, die diesen gefährlichen Weg wählten, überlebten etwa 1.200 bis 1.400.
,Die Wiener sind da!‘
Diese Schreckensbotschaft ging kurz vor dem Weihnachtsfest 1942 durch alle jüdischen Kreise der Reichshauptstadt. Wiener SS-Männer unter der Führung von Ernst Kaltenbrunner sollten der angeblich zu nachlässigen Berliner Gestapo ´nachhelfen´. (Ernst Kaltenbrunner wurde am 30. Januar 1943 als Nachfolger Heydrichs zum Chef des Reichssicherheitshauptamtes ernannt – und am 16.10.1946 in Nürnberg hingerichtet.)
Kaltenbrunner und seine Mordhelfer jagten die Berliner Juden mit kalter, zynischer Berechnung. Bei ihrer Suche nach ´U-Booten´- so nannten sich die untergetauchten Juden selbst – fand die SS Unterstützung durch ,Greifer‘. Diese Bezeichnung trugen jene Juden, die als Spitzel der Gestapo getarnte und untergetauchte Juden aufstöberten und verrieten.
Ein besonders berüchtigter Spitzel war die ,Ordnerin der SS’, Stella Kübler. Diese Frau und ihr zweiter Mann Rolf Isaaksohn arbeiteten so ´erfolgreich´, dass ganze Judentransporte auf ihr Konto gingen“
(Hans-Rainer Sandvoß, S. 169).
5. Gedenkstätte „Stille Helden“
Seit 2018 in der Stauffenbergstraße 13–14, 10785 Berlin, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, 3. Etage,
Im selben Hof befindet sich die Gedenkstätte „Stille Helden“. Sie „erinnert an jene Menschen, die während der NS-Diktatur verfolgten Juden beistanden. Das Beispiel der vielfach als „stille Helden” bezeichneten Helferinnen und Helfer zeigt, dass es auch im nationalsozialistischen Deutschland Möglichkeiten gab, Verfolgte zu retten“ (Homepage). Eine Computer-Installation zeigt uns anschaulich die Verbindungen zwischen Rettern und Geretteten.
6. Hackesche Höfe
Bevor wir uns der Geschichte dieses Ortes zuwenden, verweilen wir für einen Moment im Gedenken an die Berliner Polizisten Willi Steuck und Wachtmeister Trischak, die hier, in diesem schönen ersten der Höfe, am 23. April 1945 – Berlin kapitulierte am 2. Mai! – von einem „fliegenden Standgericht“ des Heinrich Himmler niedergeschossen wurden, weil sie verhinderten, dass Kinder, Alte und Verwundete von einem Oberleutnant der Wehrmacht eingesammelt werden, um sie an der Jannowitzbrücke „den Russen entgegen zu werfen“. Schwerstverletzt schleppten sie sich auf den Hackeschen Markt, und schrien nach Wasser – vergeblich. „Es war da auch ein SA-Mann, der die Sterbenden bewachte und ein Schild: ´So behandeln wir Vaterlandsverräter. Sie haben unsere Frauen und Kinder verraten´“ (Regina Scheer in Heinz Knobloch: Reviervorsteher, S. 115 ff.).
Spandauer Vorstadt: 1672 Anlage des ersten jüdischen Friedhofs vor der Stadt (Spandauer Tor). Im selben Jahr Erlass des Großen Kurfürsten, alle Scheunen für Heu und Stroh vor die Berliner Stadtmauer zu verlegen, um die Brandgefahr im Stadtgebiet zu verringern. Allmählich entstand um diese Scheunen herum und westlich davon ein neues Viertel, mit handwerklichem Gewerbe – das „Scheunenviertel“ zwischen der Rosenthaler Straße und dem Bülow-Platz, dem heutigen Rosa-Luxemburg-Platz, und westlich der Rosenthaler Straße die Spandauer Vorstadt, die sich bis zur Friedrichstraße im Westen erstreckt. Die Bezeichnung „Scheunenviertel“ wird oft irrtümlich auch auf die Spandauer Vorstadt ausgedehnt, wahrscheinlich wegen des im Scheunenviertel nach Pogromen im zaristischen Russland entstandenen „Schtetl“ und der Synagoge in der Oranienburger Straße und weiterer Einrichtungen der jüdischen Gemeinde in der Spandauer Vorstadt.
1750 beauftragte Friedrich II. von Preußen seinen Stadtkommandanten Hans Christoph Graf von Hacke einige Freiflächen des ziemlich verwilderten Viertels bebauen zu lassen: Es entstand der Hackesche Markt.
Schon im 18. Jahrhundert in der Spandauer Vorstadt Textilmanufakturen. Später wurde in zahlreichen Fabriketagen oder in Heimarbeit Konfektionskleidung hergestellt.
1906 Eröffnung der Hackeschen Höfe. Größte Wohn- und Gewerbehof-Anlage Deutschlands in der Tradition der Lebensreform-Bewegung. Ungewöhnlich und neu war damals das Konzept, den ersten Hof kulturell zu nutzen und entsprechend aufwändig zu gestalten.
„Im Jahr 1905 hatte Berlin zwei Millionen Einwohner und galt als größte Mietskasernenstadt der Welt, die Tuberkulose als „Berliner Krankheit“. Eigentümer und Architekt der Hackeschen Höfe wollten mit ihrer Anlage ein beispielhaftes Umfeld für modernes, gesünderes Wohnen und Arbeiten schaffen. Die Wohnhöfe lagen weitab vom Straßenlärm im Blockinneren und wurden nach Möglichkeit so angelegt, dass sie von benachbarten Grünanlagen – dem alten Jüdischen Friedhof von 1672 und dem Friedhof der evangelischen Sophiengemeinde – Sonnenlicht und Sauerstoff bekommen konnten. Zur Ausstattung der Höfe gehörten Grünpflanzen, ein großer Sandkasten, mehrere Brunnen. Die rund 80 Wohnungen hatten vielfach Balkone und durchweg Bäder, Innentoiletten und Zentralheizung.
Für die Büro- und Gewerberäume entwickelte sich eine ausgesprochene Mischnutzung durch unterschiedlichste Firmen: eine Bankfiliale, Betriebe für Herrenkonfektion, Handschuhe, Pelzwaren, für Musikinstrumente, Metallwaren, Büromöbel, Großhandlungen für Mehl, Kaffee und Futtermittel und manches andere. Zeitweilige Mieter waren auch das Mädchenheim des Jüdischen Frauenbundes und die Jüdische Studentenmensa“ (Wikipedia).
In der DDR Höfe zunächst ziemlich verkommen – Mieter konnten aber die Dekoration im ersten Innenhof retten, dann ab 1977 unter Denkmalschutz.
Nach der Wiedervereinigung Rückübertragung an die früheren Eigentümer, die an westdeutsche Investoren verkauften. In Kooperation mit Berlin-Mitte und Denkmalschutz wurde ein neues Entwicklungs- und Nutzungskonzept erarbeitet. Die sehr aufwändigen Sanierungsarbeiten – sie betrafen größere Um- und Ausbauten, denkmalpflegerische Aktivitäten und die gesamte Haustechnik – konnten 1997 beendet werden.
7. Alter jüdischer Friedhof
Wenn wir Glück haben, ist das Hintertürchen des Friedhofs der Sophienkirche geöffnet, und wir kürzen unseren Weg zum jüdischen Friedhof ab. Wir passieren die Ehrengräber des Landes Berlin für Carl Friedrich Zelter und für Leopold von Ranke. Und da wir schon mal hier sind, betreten wir auch die Sophienkirche selbst. Preußischer Barock aus der Zeit des Soldatenkönigs. Man vergleiche ihn mit dem bayerischen und österreichischen Barock. Im Halbdunkel unter der Empore eine dreiteilige große Gedenktafel – für die Gefallenen dieses Kirchsprengels der Jahre 1813, 1814, 1815. So viele Tote allein aus einem kleinen Sprengel!
An Häuserfronten mit zahlreichen Einschüssen aus den Kämpfen im April 1945 vorbei gelangen wir auf die Große Hamburger Straße. Da sich dort Einrichtungen sowohl der jüdischen Gemeinde als auch der beiden christlichen Konfessionen befinden, wurde sie lange Zeit „Toleranzstraße“ genannt.
Der alte jüdische Friedhof. Er wurde 1672 nach Aufnahme von aus Österreich vertriebenen jüdischen Familien eingeweiht – das Jahr 1671 gilt als das Gründungsdatum der modernen jüdischen Gemeinde in Berlin.. Bis 1827 wurden hier etwa 12.000 Verstorbene aus allen sozialen Schichten begraben. Der Prominenteste unter ihnen: der Philosoph und Aufklärer Moses Mendelssohn. Aber auch der Bankier Daniel Itzig, Unterstützer Preußens im Siebenjährigen Krieg und Oberältester der Berliner Jüdischen Gemeinde, und der Münzunternehmer Veitel Heine Ephraim (Ephraim-Palais) fanden hier ihr Grab. Alten Beschreibungen kann man entnehmen, dass dieser Friedhof die anfängliche gesellschaftliche und rechtliche Aufgliederung der Juden Berlins widerspiegelte. Neben den Gräbern von mehr oder minder vogelfreien kleinen Händlern und Hausierern befanden sich die prächtigeren Grabstätten von respektablen, mit Schutz- und Geleitbrief versehenen Persönlichkeiten:
Daniel Itzig: er „war königlich preußischer Hoffaktor, Münzunternehmer, Oberhof-Bankier, Lederfabrikant, Eisenhüttenbesitzer, Bergwerksunternehmer, Rittergutsbesitzer, König Friedrich II. ernannte ihn zum obersten Repräsentanten der Juden in Preußen. Im Jahr 1778 gründete er gemeinsam mit seinem Schwiegersohn David Friedländer die erste jüdische Freischule Freischule Chevrat Chinuch Ne’arim‚ Gesellschaft für Knabenerziehung in Berlin.
Daniel Itzig, moderner Großbürger und Oberhaupt einer der angesehensten und wohlhabendsten Familien Berlins, trug gemeinsam mit anderen Gleichgesinnten durch die Förderung junger Intellektueller, die sich seit etwa 1770 in Berlin um Moses Mendelssohn geschart hatten, maßgeblich dazu bei, dass sich die von Mendelssohn und seinen Anhängern betriebene Reformarbeit entfalten und Berlin zum Ausgangspunkt und Zentrum der jüdischen Aufklärung in Europa werden konnte“ (Wikipedia).
Nahe der Grabstätte von Itzig lag die des 1775 verstorbenen größten preußischen Münzunternehmers in der Zeit Friedrich des Zweiten: Veitel Heine Ephraim. Während des 7-jährigen Krieges beteiligten sich die Ephraims – wohl mit Wissen des Königs – vor allem an der Prägung des minderwertigen Kriegsgeldes, das der Volksmund „Ephraimiten“ nannte. Im März 1763 gestattete der König per Kabinettsordre Veitel Heine Ephraim den Ankauf eines Hauses für dessen Kinder („Ephraim-Palais“) und gewährte ihm die rechtliche Gleichstellung mit den christlichen Bankiers (nach Stefi Jersch-Wenzel u.a., S. 288 ff.).
Aus dieser Vita ergibt sich zwingend, dass Juden im damaligen Preußen keineswegs rechtlos waren, wenn auch noch weit entfernt von gesellschaftlicher Emanzipation und bürgerrechtlicher Gleichstellung.
Nach der Verlegung der Friedhöfe aus der engeren Stadt aus hygienischen Gründen – dieser Friedhof wurde 1827 geschlossen – nutzten ihn die Bewohner des benachbarten Altersheims der Jüdischen Gemeinde als Park.
1943 Zerstörung des Friedhofs und Beseitigung der Gebeine der Toten durch die Nazis, Bau eines Splittergrabens unter Verwendung von Grabsteinen und Grabplatten. In den letzten Kriegswochen und nach Kriegsende wurden hier in 16 Massengräbern etwa 1150 Soldaten und Zivilisten beigesetzt, die durch Bomben, Hunger und Krankheiten ums Leben gekommen waren. Unter ihnen waren auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene“.
1948 Rückgabe des Friedhofs an die jüdische Gemeinde zu Berlin. Auf ihre Initiative hin wurde im selben Jahr die in hebräischer und deutscher Sprache verfasste Gedenktafel angebracht.
Moses Mendelssohn
Geboren 1729 in Dessau, gestorben 1786 in Berlin.
Früh geschult an Maimonides. Krümmung des Rückens seit dem 14. Lebensjahr, Neigung zum Stottern.
Als Moses Mendelssohns Talmud-Lehrer Rabbi Fränkel 1743 von Dessau nach Berlin berufen wurde, folgte ihm sein Schüler – der Sage nach zu Fuß in fünf Tagesmärschen.
„Mit Hilfe älterer, weltlich gebildeter Schüler eignete sich Mendelssohn in diesen Jahren, neben seinen Talmudstudien, Deutsch und später Latein, Französisch und Englisch sowie weiteres weltliches Wissen an. Er zeigte früh eine Neigung zur Philosophie; den englischen Frühaufklärer John Locke studierte er zunächst auf Lateinisch mit Hilfe eines Wörterbuchs, außerdem Christian von Wolff und den Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz. Auch Shaftesburys Denken sprach ihn an, während er den meisten französischen Aufklärern, bis auf Rousseau, eher mit Skepsis begegnete. Bald wurde er selbst zum Aufklärer.
Nach sieben Jahren als Bettelstudent wurde er im Jahr 1750 von dem Seiden-händler Isaak Bernhard als Hauslehrer für dessen Kinder eingestellt und begann 1754 als Buchhalter in dessen neu gegründeter Seidenfabrik, wo er Geschäftsführer (1761) und Teilhaber und Betriebsleiter wurde (1768, nach dem Tod von Isaak Bernhard).
1754 lernte er, angeblich beim Schachspiel, den gleichaltrigen Pfarrerssohn und ehemaligen Theologie- und Medizinstudenten Gotthold Ephraim Lessing kennen, der ihn 1754 bei der Publikation eines anonymen Briefes als „eben so witzigen, als gelehrten und rechtschaffnen [Mann]“ bezeichnete. Ein Jahr später sorgte Lessing für die Publikation von Mendelssohns erster deutscher Schrift, den „Philosophischen Gesprächen“ (ebenfalls anonym erschienen), und vermittelte ihm die Bekanntschaft von Friedrich Nicolai, der ihn als Mitarbeiter für seine einflussreiche Zeitschrift Briefe, die Neueste Litteratur betreffend gewann. Dadurch wurde Mendelssohn zu einem einflussreichen Kritiker der neu entstehenden deutschen Literatur. Zusammen mit Lessing und Nicolai, der den Vorsitz innehatte, gehörte er dem Montagsklub der Berliner Aufklärung an“ (Wikipedia).
Mit seiner Frau Fromet Gugenheim hatte Moses Mendelssohn 10 Kinder, von denen sechs überlebten, darunter Joseph Mendelssohn, Gründer des Bankhauses Mendelssohn, Dorothea Schlegel, die die Scheidung wagte, um ihren Geliebten Friedrich heiraten zu können, sowie Abraham Mendelssohn Bartholdy, Vater von Felix Mendelssohn Bartholdy und von Fanny Hensel, ebenfalls Komponistin und Frau des preußischen Hofmalers Wilhelm Hensel.
8. Jüdisches Altersheim – Deportationssammelstelle
Das erste Altersheim der Berliner Jüdischen Gemeinde liegt ebenfalls in der „Toleranzstraße“. Erbaut 1828) – unter den Förderern alle Familien des gehobenen jüdischen Bürgertums wie die Bleichröders, die Simons und A. Zuntz sel. Witwe, hervorragender Ruf als gutbürgerlicher Ruhesitz in Nachbarschaft zu vielen wichtigen jüdischen Institutionen. Wie erwähnt, diente der angrenzende alte Friedhof als Naherholungsgebiet, er war sozusagen der Privatpark des Altersheims.
Der Weg in den Tod
1942 wurde aus ihm ein Haus des Schreckens. Der im Altersheim amtierende Rabbiner Riesenburger berichtet in seinen Erinnerungen: „In das Gebäude zog nunmehr die Gestapo ein, und so wurde dieses Haus das berüchtigte Judenlager. An dieser Stätte, die einmal für die Erhaltung des Lebens errichtet worden war, wurden nun tausende jüdischer Menschen zur Vorbereitung für ihre Vernichtung eingelagert. Das Gebäude wurde gefängnisartig mit Gittern und Posten auf der Straße und am Portal versehen, und an der Vorder- und Hinterfront brachte man große Scheinwerfer an, um jedes Entfliehen in der Nacht zu verhindern. Zusammengepfercht wie Vieh, liegend auf dem Fußboden, mussten dort Alte und Junge, Männer, Frauen, Kinder und auch Säuglinge den Augenblick ihres endgültigen barbarischen Abtransports entgegensehen. All dies spielte sich Nacht für Nacht im Grauen der Dunkelheit ab.“ Zunächst in das „Altersghetto“ Theresienstadt , dann direkt in die Vernichtungslager. Der Keller wurde zum Gestapo-„Strafbunker“ für aufgespürte jüdische Flüchtlinge und Widerstandskämpfer.
Nur eine einzige Überlebende des Altersheims kehrte 1945 aus dem Konzentrationslager Theresienstadt zurück, eine schwerkranke und gebrochene Frau (Stefi Wenzel u.a., S. 261 f).
Stella Goldschlag
Nein – es gab noch eine Überlebende: Stella Goldschlag. Auch sie wurde im Zuge der „Fabrikaktion“ verhaftet und in diesem Altersheim inhaftiert. Nach gescheitertem Fluchtversuch und anschließender Folterung erklärte sie sich gegenüber einem SS-Hauptscharführer zur Kollaboration bereit. Sie denunzierte als „Greiferin“ zahlreiche untergetauchte Juden. Sie erwarb mit perfekter Verstellung das Vertrauen der Bedrängten und erfuhr dabei die Namen und Aufenthaltsorte weiterer untergetauchter Juden. „In manchen Fällen führte sie selbst Verhaftungen durch bzw. hielt flüchtende Personen auf, bis die Gestapo eintraf. Hierfür wurde sie von der Gestapo sogar mit einer Pistole ausgestattet. Die Angaben über die Zahl ihrer Opfer schwankten in den Nachkriegsprozessen zwischen 600 und 3000 Juden. Bis März 1945, als der letzte Deportationszug Berlin in Richtung Theresienstadt verließ, spürte die als „Greiferin“ gefürchtete Stella Goldschlag weiterhin Juden im Untergrund auf und denunzierte sie. Eine ihrer Methoden war es, auf Friedhöfen bei Beerdigungen aufzutauchen und Jüdinnen und Juden, die durch den Tod ihres „arischen“ Partners den bis dahin bestehenden Schutz verloren hatten, anzuzeigen“ (Wikipedia).
Stella Goldschlag konnte sich im April 1945 absetzen und wurde so eine der ganz wenigen „Greifer“, die am Ende ihrer Tätigkeit für die Gestapo nicht von dieser deportiert bzw. ermordet wurde. 1946 verurteilte sie ein sowjetisches Militärtribunal zu zehn Jahren Lagerhaft, die sie absitzen musste. Nach ihrer Entlassung und Übersiedlung nach Westberlin verurteilte sie dort ein Gericht zu 10 Jahren Zuchthaus, die aber wegen ihrer Haft in sowjetischen Straflagern vom Gericht als verbüßt angesehen wurden.
Stella Goldschlag setzte ihrem Leben im Alter von 72 Jahren ein Ende, indem sie aus dem Fenster ihrer Freiburger Wohnung sprang (Wikipedia).
Das Altersheim wurde 1943 durch Bomben zerstört. Nach Kriegsende wurde die Fläche enttrümmert.
Opfer der Deportation
Figurenensemble des Bildhauers Will Lammert, 13 Frauen und Kinder. Lammert hatte in Ravensbrück das große Mahnmal „Tragende“ geschaffen. Er starb 1957 und hinterließ für die Ravensbrücker Ehrenmauer eine unvollendete Gruppe mit 15 Figuren, von denen dort nur zwei realisiert wurden. 13 von ihnen goss Lammerts Sohn Mark 1985 in Bronze und stellte sie nach einer Gestaltungsidee von John Heartfield hier zur Erinnerung an Altersheim und Deportationssammelstelle auf. Daneben Gedenkstein auf Initiative des (Ost-) Berliner Magistrats 1985 (Stefanie Endlich, S. 221).
9. Knabenschule der Berliner Jüdischen Gemeinde
Wie dieser Schutzzaun zeigt, ist die „Knabenschule der Berliner Jüdischen Gemeinde“ heute – nicht noch, sondern wieder – als jüdische Schule in Betrieb. 1778 gegründet, zog sie 1863 in ein neues Haus an dieser Stelle. 1906 wurde hier das alte Schulgebäude durch ein neues ersetzt. Dieses Gebäude mit der Inschrift „Knabenschule der Juedischen Gemeinde“ steht vor uns.
Die Vorgängerin dieser Schule war von 1778 bis 1825 die „Jüdische Freyschule in Berlin“ in der Klosterstraße. Ich zitiere aus dem „Jüdischen Jahrbuch von Groß-Berlin“ von 1926: „Unter dem Einfluss Moses Mendelssohns gründeten der bekannte Aufklärer David Friedländer und sein Schwager Isaak Daniel Itzig, der Sohn des Bankiers Friedrich des Großen, im Jahre 1778 die jüdische Freischule. Sie war die erste Schulanstalt in Deutschland, die zu den traditionellen biblisch-talmudischen Schulfächern auch die Elemente der allgemeinen Bildung in den Schulplan aufnahm. Mit dieser Verbindung von spezifisch-jüdischen und allgemeinen Lehrgegenständen mit der Übertragung moderner pädagogischer Prinzipien auf den Unterricht wurde die Berliner Freischule vorbildlich für alle ähnlich gerichteten Schulen, eine Pflanzstätte religiöser und allgemeiner kultureller Aufklärung.“
In seiner Einweihungsrede für dieses neue Schulgebäude vom 26. November 1906 sagte der Schulleiter Dr. Michael Holzmann: „Den Bildungsanstalten (der Knabenschule, der Lehrerbildungs- und Präparandenanstalt), deren Stätte wir heute weihen, ist, so verschieden auch ihre Sonderaufgaben sein mögen, eine gemeinsame gestellt, nämlich dahin zu wirken, dass ihre Schüler dereinst … sich als Deutsche jüdischen Glaubens erweisen“ (Steffi Wenzel u.a., S. 246 ff.).
Die Knabenschule in der „Toleranzstraße“ war die letzte arbeitende jüdische Schule Berlins vor dem Holocaust. In ihrer Schlussphase bis zu ihrer Schließung 1940 musste sie auch von den verbliebenen jüdischen Mädchen besucht werden. Eines dieser Mädchen hieß Anna Boros.
10. Die kleine Jüdin und der Araber
Schon vor dem Zweiten Weltkrieg lebten etwa 15.000 Araber in Deutschland, sehr viele von ihnen in Berlin. Mit den Berliner Juden kamen die Araber gut aus. In der Hauptstadt des Nazi-Reiches versteckten Araber nach 1933 Juden, um ihr Leben zu retten.
Die israelische Shoah-Gedenkstätte hat bis heute fast 25.000 Frauen und Männer, die während der Nazi-Barbarei Juden retteten oder es zumindest unter Einsatz ihres Lebens versuchten, als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Unter diesen Gerechten ist bislang nur ein Araber. Er heißt Mohammed Helmy und ist ein in Deutschland ausgebildeter ägyptischer Arzt. Während er dem jüdischen Mädchen das Leben rettete, war er selbst den rassistischen Schikanen und dem ständigen Argwohn der Nazis ausgesetzt. 1938 verliert er seine Stelle am Robert-Koch-Krankenhaus in Moabit. „Ein Arzt hat gesagt, man könne nicht mit ansehen, dass Dr. Helmy, ein Hamit, deutsche Frauen behandelt“, gab Helmy nach dem Krieg zu Protokoll. Dieses „Argument“ wurde damals ständig gegen jüdische Ärzte ins Feld geführt, besonders gegen Gynäkologen. Helmy darf ab 1937 Patienten nur noch privat empfangen. Seine deutsche Verlobte Emmy durfte er nicht heiraten. Nach zweimaliger Gestapo-Haft 1933 und 1941 erreicht Helmy das Kriegsende als Lebender in Berlin. Gerettet hat ihn auch die Allianz der Nazis mit dem extrem antijüdischen und antibritischen Großmufti von Jerusalem, vor allem aber sein Mut und sein überdurchschnittlicher Einfallsreichtum.
Die 1925 geborene Anna Boros war eine Patientin von Helmy. 1938 muss die 13-Jährige die deutsche Schule verlassen und in diese einzige verbliebene jüdische Schule wechseln. Als auch diese Schule 1940 von den Nazis geschlossen wird, stellt Helmy Anna als seine angebliche Nichte als Praxisgehilfin ein. Am 10. Juni 1943, dem Tag, an dem die Jüdischen Gemeinden und alle anderen jüdischen Organisationen in Berlin geschlossen werden, organisiert Helmy Annas (Schein-) Übertritt zum Islam.
Nur sechs Tage später, in der Nacht des 16. Juni 1943, arrangiert Helmy in seiner Wohnung in der Krefelder Straße heimlich eine muslimische Hochzeit. Die 17-jährige Anna Boros und ein 36- jähriger arabischer Bekannter von Helmy geben sich das Jawort. Obwohl gegen Ende des Krieges diese Täuschung aufflog und die Gestapo erneut nach Anna Boros fahndete, gelang es Helmy mit einem weiterem Täuschungsmanöver, die junge Frau bis zum Einmarsch der Roten Armee zu verstecken. Mit Hilfe seiner Patientin Frieda Szturmann konnte er auch das Leben von Annas Mutter und Großmutter retten, sowie das Leben von Annas Stiefvater. Helmy hat also das Leben von vier Menschen gerettet, was diese auch nach dem Krieg dankbar anerkannten.Mod Helmy und Anna Boros
„Wie Helmy das alles geschafft hat, bleibt rätselhaft – Wohnung in Moabit, Arbeit in Charlottenburg, sein Schützling in Buch; und das unter den Bedingungen des Bombenkrieges. Dabei sah er wohl so aus, wie man sich eine Juden vorstellte: er wird ständig kontrolliert worden sein. Mehrfach stand er kurz vor der Verhaftung. Anna und ihre Eltern überlebten den Krieg in Berlin, wanderten 1945 in die U.S.A. aus und gaben dort vor einem Notar zu Protokoll, wie Helmy ihnen geholfen hatte“ (K. u. S. Mülder). Sie hielten die Freundschaft zu ihrem Retter aufrecht.
Helmy heiratete nach dem Krieg seine deutsche Geliebte Emmy Ernst, in deren Laube in Buch er Anna und ihre Angehörigen lange Zeit versteckt hatte. Das Paar blieb in Berlin, Helmy starb dort 1982. Beerdigt wurde er auf dem Friedhof Heerstraße in Westend. Später erhielt er Gesellschaft von seiner Emmy. Seit 1929 bis zu seinem Tod und auf seinem Grabstein heißt er Mod, nie Mohammed. Auch seine Einäscherung mit Bestattung auf einem christlichen Friedhof belegt, dass Helmy kein Moslem (mehr) war.
10. „The Missing House“
Hamburger Str. 15/16. Mahnmal des französischen Künstlers Christian Boltanski aus dem Jahr 1990. Erinnerung an die Menschen, die in diesem durch Bomben zerstörten Haus wohnten: einige wohnten dort bis 1942 oder 1943 – Deportation der jüdischen Bewohner, andere bis 1945 – Zerstörung des Hauses durch Bomben.
12. Neue Synagoge
Die Oranienburger Straße führt uns zur Neuen Synagoge. Eingeweiht am 5. September 1866 bei Anwesenheit des preußischen Ministerpräsidenten Graf Otto von Bismarck als Synagoge der jüdischen Reformgemeinde. Um 1860 hatte die jüdische Gemeinde Berlin etwa 28.000 Mitglieder. Architekten waren die Freunde Eduard Knoblauch (mehr außen) und Friedrich August Stüler (mehr innen). Knoblauchs Anregungen: Bauten im orientalischen Stil, vor allem die Alhambra in Granada.
Die Kosten waren ursprünglich auf 125.000 Taler geschätzt worden. Es wurden schließlich 750.000 Taler.
„Wer sich für die architektonischen Dinge interessiert, für die Lösung neuer, schwieriger Aufgaben innerhalb der Baukunst, dem empfehlen wir einen Besuch dieses reichen jüdischen Gotteshauses, das an Pracht und Großartigkeit der Verhältnisse alles weit in den Schatten stellt, was die christlichen Kirchen unserer Hauptstadt aufzuweisen haben (Theodor Fontane 1965 in der „Kreuzzeitung“).
Am 6. September 1866, einen Tag nach der Einweihung, urteilte die National-Zeitung:
„Das neue Gotteshaus ist ein Stolz der jüdischen Gemeinde Berlins, aber noch mehr, es ist eine Zierde der Stadt, eine der beachtenswertesten Schöpfungen der modernen Architektur im maurischen Stil und eine der vornehmsten Bauunternehmungen, die in den letzten Jahren die norddeutsche Residenz ausgeführt hat und ein märchenhaftes Bauwerk, das inmitten eines recht nüchternen Stadtteiles unserer Residenz uns in die phantastischen Wunder einer modernen Alhambra mit den anmutigen leichten Säulen, den schwunghaften Rundbögen, den farbenreichen Arabesken, den mannigfachen gegliederten Schnitzwerk, mit all den tausendfältigen Zauber des maurischen Stils einführt.“
Nach einem letzten Gottesdienst im kleinen Gebetsraum am 14. Januar 1943 übernahm die Wehrmacht das Gebäude und richtete hier ein Uniformlager ein. Bei britischen Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg erlitt die Synagoge in der Nacht zum 23. November 1943 schwere Schäden.
Nach dem Krieg wurde lange der vollständige Abriss des stark beschädigten und teilweise einsturzgefährdeten Gebäudes erwogen. Doch im Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag der Pogromnacht wurde 1988 von Juden aus verschiedenen Ländern die Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“ gegründet. Die DDR-Regierung unterstützte das Vorhaben, und am 10. November 1988 fand eine symbolische Grundsteinlegung für den Wiederaufbau der Synagoge statt.
Die repräsentative Straßenfront mit der Hauptkuppel wurde dann originaltreu rekonstruiert. Das wiederhergestellte Gebäude konnte am 16. Dezember 1994 der Stiftung übergeben und am 7. Mai 1995 eröffnet werden. Es wurde insgesamt nicht wieder als Synagoge eingeweiht, enthält aber einen kleinen Gebets- und Andachtsraum. Das Gebäude ist also heute vor allem eine Gedenkstätte mit einer ständigen und wechselnden Ausstellungen.
13. Gedenktafel Wilhelm Krützfeld
Sie befindet sich am Haus neben der Synagoge. Krützfeld wurde am 9. Dezember 1880 in Seedorf, Kreis Segeberg/Holstein geboren. Er diente bis 1907 in der Preußischen Armee bei der Garde in Spandau und wurde dann Polizist. Nach längerem Dienst im Landespolizeiamt und im Berliner Polizeipräsidium übernahm er in den 1930er Jahren das Polizeirevier 65 am Prenzlauer Berg und leitete 1938 als Polizeioberleutnant das Polizeirevier 16 am Hackeschen Markt im Bezirk Mitte. Während der landesweiten Pogrome in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 begannen Angehörige der SA in der Neuen Synagoge Feuer zu legen. Wilhelm Krützfeld trat den Brandstiftern entgegen, verwies auf den seit Jahrzehnten bestehenden Denkmalschutz für das Gebäude. Er zwang die SA-Männer mit Worten und Waffengewalt zum Rückzug und alarmierte die Feuerwehr, die, obwohl sie den Befehl hatte, keine brennenden Synagogen zu löschen, sofort anrückte und den im Gebäudeinneren entstandenen Brand löschen konnte. Krützfeld bewahrte so die Synagoge vor der Zerstörung. Er wurde am Tage darauf durch den Berliner Polizeipräsidenten Graf Helldorf lediglich verbal gemaßregelt, obwohl für solche und ähnliche Taten damals durchaus härtere Sanktionen üblich waren. Krützfeld war jedoch danach im Beruf vielfach Schikanen ausgesetzt. Trotzdem blieb er den in seinem Revierbereich wohnenden Juden behilflich. Er, der bereits genannte Willi Steuck und einige andere Beamte seines Reviers warnten mehrfach Juden vor ihrer Verhaftung und Deportation.
Seit dem Jahr 1993 trägt die Fortbildungseinrichtung der Landespolizei Schleswig-Holstein den Namen „Landespolizeischule Wilhelm Krützfeld“, in deren Gedenkblatt es heißt:
„Er war weder ein Verfolgter des Naziregimes noch ein Widerstandskämpfer, er war weder Sozialdemokrat noch Kommunist, er war weder ein klassischer Held noch ein Märtyrer. Vielleicht macht ihn gerade das so bedeutend. Wilhelm Krützfeld war, das zeigen Zeitzeugen und Indizien deutlich, ein (preußischer) Polizeibeamter, der sich dem Staate als einem Ordnungssystem zur Mehrung von Toleranz und menschlichem Wohlergehen verpflichtet fühlte. Ein Mann mit gesundem Menschenverstand und Zivilcourage, der es durch „großen Fleiß und Pflichttreue“ vom Polizeiobermeister zum „Schutzpolizeiinspektor im Revierdienst“ (später „Revier-Oberleutnant“) und Reviervorsteher brachte“ (nach Wikipedia und Knobloch: Reviervorsteher).
14. „Der verlassene Raum“
Über die Krausnickstraße (Oberbürgermeister von Berlin während der Revolution 1848, er türmte wie Prinz Wilhelm) und die Große Hamburger Straße in Richtung Norden gelangen wir zum Koppenplatz. Benannt nach dem Stadthauptmann Christian Koppe, der im Jahr 1704 dieses Grundstück der Armenverwaltung zur Einrichtung eines Armenfriedhofs schenkte. Bis 1853 hieß dieser Platz, auf dem sich auch Koppes Grab befindet, Koppescher Armenfriedhof (Alle Berliner Straßen und Plätze, 2. Band, S. 528).
Denkmal auf dem Koppenplatz zur Erinnerung an die gewaltsame Vertreibung der Juden aus Berlin. Denkmal-Wettbewerb von der DDR 1988 ausgeschrieben. Der Bildhauer Karl Biedermann gewann in Zusammenarbeit mit der Landschaftsarchitektin Eva Butzmann den Wettbewerb mit dem für die ´offizielle` Gedenkkunst der DDR höchst ungewöhnlichen Entwurf einer begehbaren Rauminstallation. Erst 1996 wurde sie im Rahmen des Senatsprogramms Kunst im Stadtraum aufgestellt und eingeweiht. Auf der Bodenplatte ein Zitat aus dem Gedicht „O die Schornsteine“ der deutsch-jüdischen Autorin Nelly Sachs.
15. Ehrengräber auf dem Alten Garnisonsfriedhof
Über die Linienstraße in Richtung Osten erreichen wir zu guter letzt den Alten Garnisonsfriedhof. In seiner Ruhe entspannen wir uns und entdecken nebenbei unter vielen Gräbern preußischer Militärs und Honoratioren zwei Ehrengräber:
Ludwig Adolf Wilhelm Freiherr von Lützow (* 18. Mai 1782 in Berlin; † 6. Dezember 1834 ebenda) war ein preußischer Generalmajor. Er ist vor allem durch das nach ihm benannte Freikorps, die „Schwarzen Jäger“, bekannt geworden – schwarz die Uniform, rot die Vorstöße, goldfarben die Knöpfe – Schwarzrotgold.
Friedrich Heinrich Karl Baron de la Motte Fouqué (Pseudonyme Pellegrin und A.L.T. Frank; * 12. Februar 1777 in Brandenburg an der Havel; † 23. Januar 1843 in Berlin) war einer der ersten deutschen Dichter der Romantik, Verfasser der von E.T.A. Hoffmann und von Albert Lortzing vertonten „Undine“.
Literatur
Alle Berliner Straßen und Plätze, 2. Band, Berlin 1998
AStA der TU Berlin: Die Berliner Widerstandsgruppe um Herbert Baum, Berlin 1984
Igal Avidan: Mod Helmy. Wie ein arabischer Arzt in Berlin Juden vor der Gestapo rettete, München 2017
Igal Avidan: Mohammed Helmy. Der erste arabische „Gerechte unter den Völkern“, BR/Bayern 2 vom 29.5.2014
Stefanie Endlich: Wege zur Erinnerung. Gedenkstätten und -orte für die Opfer des Nationalsozialismus in Berlin und Brandenburg, Berlin 2006.
Sebastian Haffner: Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914-1933, Stuttgart/München 2001
Stefi Jersch-Wenzel u.a.: Wegweiser durch das jüdische Berlin, Berlin 1987
Heinz Knobloch: Der beherzte Reviervorsteher, 2. erw. Auflage, Berlin 1993
Zu Steuck und Trischak S. 115 ff. Dort auch Zeugnis der Regina Scheer
Heinz Knobloch: Herr Moses in Berlin, Berlin/DDR 1979
Sabine und Karsten Mülder: Dr. Mod Helmy – ein „Gerechter der Völker“ im Blatt der Berliner KV, 2015
Reinhard Rürup: Vergangenheit und Gegenwart der Geschichte, in: 750 Jahre Berlin, Berlin 1986
Hans-Rainer Sandvoß: Widerstand in Spandau, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin-West 1988
Ronen Steinke: Der Muslim und die Jüdin, SZ vom 10.1.2015
Ronen Steinke: Der Muslim und die Jüdin. Die Geschichte einer Rettung in Berlin, Berlin 2017
(Die Bezeichnung ,Muslim‘ ist mit Sicherheit falsch.)
Yad Vashem: Dr. Mohammed Helmy und Frieda Szturmann,
http://www.yadvashem.org/yv/de/righteous/stories/helmy.asp
Außerdem einige Wikipedia-Seiten, die leicht zu finden sind.