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August | 1969

Die katholische Kriegspredikt 1914–1918


Gott mit uns

 

Missalla, Heinrich: „Gott mit uns“ — Die deutsche katholische Kriegspredigt 1914—1918. Kösel-Verlag, München 1968 (144 S., kart., 8,80 DM).

Eines der konkreten Ziele des kritischen deutschen Katholizismus ist die Ablösung der tradierten monologischen Predigt durch Gesprächsgottesdienste, zumindest ihre Ergänzung durch die Diskussion in der Gemeinde. Diese Forderung entspringt der Erkenntnis, dass es eine unpolitische, abstrakt religiöse Verkündigung nicht gibt und dass auch der politische Gehalt der Predigt im Bewusstsein der Gläubigen bisher mit kirchlich-göttlicher Autorität ausgestattet und damit jeder inhaltlichen Prüfung entzogen ist.

An dem in mancher Hinsicht extremen Fall katholischer Verkündigung im 1. Weltkrieg will M. exemplarisch zeigen, wie dieses Predigtverständnis der Gläubigen von der Kirche zugleich systematisch gefördert und hemmungslos ausgenutzt werden kann. In keinem der zahlreichen von ihm zitierten Texte findet sich der Versuch, religiöse und politische Aussage wenigstens formal zu trennen:

Der Glaube wird bewusst in den Dienst der imperialistischen Kriegspolitik gestellt. Die Themen der Prediger reichen vom Krieg als Strafe Gottes und als Ruf zur Buße — „Kriegszeit ist Bußzeit und Gnadenzeit, eine Zeit barmherzigster Heimsuchung Gottes“ — über den Krieg als Erzieher — „Geburtsstunde einer neuen Zeit, Völkerfrühling“ — bis zur völligen Identifizierung der Sache des kaiserlichen Deutschlands mit den Zielen Gottes — „Hie Kraft des Herrn und Hindenburg, für Gott gegen Satanas“. Die unmenschliche Rolle der katholischen Kirche im 1. Weltkrieg manifestiert sich besonders im Missbrauch des Evangeliums und der Sakramentenlehre zur Verklärung des Soldatentodes zum Märtyrertod, der nach katholischer Lehre automatisch in den Himmel führt: Der Soldat erkenne „im Ruf des Königs Gottes Ruf und im Kriegsdienst Gottesdienst. — Dreimal selig zu preisen, wer sein Leben lassen dürfte als Streiter Gottes in diesem heiligen Kriege“. So wurde unter Ausnutzung einer naiven Religiosität Opferbereitschaft bis zur schwärmerischen Selbstaufgabe für die Interessen anderer erzeugt.

Das von M. vorgelegte Material muss als repräsentativ angesehen werden, da es als Quellen vor allem die überlieferten Predigten von Bischöfen und führenden Theologen sowie die autorisierten, beim ganzen Klerus verbreiteten Predigthilfen benutzt. Seine Quellenstudien führten ihn auf keinen einzigen Fall einer anderen Kriegsdeutung.

Die Ursachen für diese Ideologisierung des Krieges sieht M. einmal in dem Streben des katholischen Bevölkerungsteils und seiner Führer nach Anerkennung als vollwertige und zuverlässige Bürger des neuen Reiches, vor allem aber in einem „Verständnis der Welt, dass ausschließlich naturhaft orientiert ist und in dem Freiheit und Geschichte, Verantwortung für die Welt und Aktivität, bis hin zur revolutionären Aktivität, nicht vorkommen“. Die bestehende hierarchische Gesellschaftsordnung wird den Gläubigen in den von M. zitierten Katechismen der Jahrhundertwende als Teil der Schöpfung vermittelt, jeder Versuch, sie zu ändern, ist daher als schwerer Verstoß gegen die göttliche Ordnung anzusehen. So kann während des Krieges in der führenden Prediger-Zeitschrift mit Genugtuung festgestellt werden, „dass staatsumstürzlerische Bewegungen nirgendwo einen schlechteren Nährboden finden als in gut katholischen Herzen“.

Die gesellschaftliche Bedeutung des Buches liegt darin, dass der katholische Priester Missalla seine Leser nicht in eine unverbindliche Entrüstung über das Versagen der Kirche in einer vergangenen Epoche führt, sondern mit dem Hinweis auf die bis heute ungebrochene Kontinuität im kirchlichen Weltverständnis die Forderung nach Veränderung der Glaubenspraxis begründet, die mit der Kritik der Gemeinde an der Predigt beginnen sollte. Die Richtung dieser Kritik und der weiteren Praxis vermittelt M. durch die Übernahme der progressiven theologischen These vom Reich Gottes als der vom Menschen zu gestaltenden Zukunft der Welt (Metz). Die oft geforderte „unpolitische“ Predigt wird als herrschaftserhaltend erkannt und abgelehnt.

Obwohl M. geschickt am Bewusstseinsstand und der politischen Erfahrung der Gläubigen anknüpft — so verwendet (und entideologisiert) er die ihnen vertrauten Begriffe —, bleiben Zweifel an der agitatorischen Wirksamkeit seiner Schrift. Wird der Kirchgänger die heutige Predigt in den Zitaten aus der Zeit des 1. Weltkrieges wiedererkennen? Um die Verschleierung zu durchbrechen, deren sich die katholische Predigt in Anpassung an die übrigen Massenmedien heute bedient, wäre es wohl notwendig gewesen, die gesellschaftlichen Interessen, mit denen sich die Kirche identifiziert, konkret zu benennen.

Bernd Schüngel (Berlin)
Das Argument, Heft 51, 1969, S. 157–159