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August | 2017

Vor dem Mittelalter


Die hellenistische Zeit

 

aus Michael Rostovtzeff: Geschichte der Alten Welt, Band 1, Der Orient und Griechenland, Bremen ca. 1958

Die Stadt: „Ihre Städte hatten gepflasterte Straßen und Plätze, ein ausgezeichnetes System der Wasserversorgung und Entwässerung, gesundheitlich einwandfreie Märkte, ausgedehnte Schulgebäude und Bibliotheken, steinerne Theater, Sport- und Rennplätze, prächtige Tempel und Altäre sowie öffentliche Gebäude, die der Größe der Stadt angemessen waren und in denen der Stadtrat und die Volksversammlung ihre Zusammenkünfte abhielten“ (S. 444).

„Pergamon, Milet, Priene, Assos, Magnesia und Maiandros in Kleinasien, Pompeji in Italien und andere in Sizilien, Syrien und Ägypten. Überall beobachtet man das Geschick, mit dem die Stadt entworfen ist, die Regelmäßigkeit der Anlage der einzelnen Bezirke, die Sorgfalt in der Wahl der Lage öffentlicher Gebäude und offener Plätze. Die zufällige Anordnung der Häuser, die zuvor die Regel gewesen war, wich jetzt einer regelmäßigen Ordnung

… „In der ganzen hellenistischen Welt las diese Bevölkerungsschicht dieselben Bücher, sie bewunderte dieselben Stücke auf der Bühne, sie hörte dieselben Musiker und Schauspieler, die von Stadt zu Stadt reisten. Alle empfingen die gleiche Schulung und Ausbildung in den Ringschulen und Gymnasien, die den Körper übte und den Geist durch Musik und Literatur bildete: eine für Griechenland kennzeichnende Verbindung“ (S. 444).

… „Die Dichter von Alexandreia und Athen schrieben nicht mehr für einen begrenzten Kreis von Mitbürgern, sondern für jedermann in der ganzen Welt, der griechisch lebte, griechisch dachte und sprach. Lange vorher hatten die griechischen Philosophen begonnen, vom Menschen im Allgemeinen zu sprechen. Jetzt arbeiteten Schriftsteller, Musiker, Gelehrte und Künstler für einen entsprechenden Leser- und Hörerkreis. Der Zugang zur Bildung wurde freigiebig allen denen gewährt, die fähig und willens waren, an ihr teilzunehmen. Die Vorstellung einer gewissen Beschaffenheit, die dem zivilisierten Wesen eigentümlich ist – sie wird in dem lateinischen Wort humanitas ausgedrückt –, schreibt sich aus dieser Zeit her, ebenso die Idee einer zivilisierten Welt“ (S. 445 f.).

„So wird die griechische Religion mehr und mehr vergeistigt und abstrakt; gleichzeitig verliert sie den Zusammenhang mit bestimmten Stadtstaaten. Im Gemüt des gebildeten Griechen beginnt die allgemeine Idee Gottes, die Idee des Göttlichen, an die Stelle besonderer Gottheiten zu treten. Die leben nur in Dichtung und Kunst und im Glauben der Ungebildeten fort“ (S. 449).

Neben dem religiösen Mystizismus finden wir in der Gesellschaft dieser Zeit Rationalismus und Materialismus weit verbreitet. Der Agnostizismus, der die Möglichkeit eines menschlichen Wissens von Gott leugnet, der Atheismus, der nicht an Gott glaubt, der Skeptizismus, der Euhemerismus, der das Übernatürliche in der Religion wegerklärt: sie alle hatten Anhänger und Gefolgsleute in Fülle, denen die Religion lediglich als künstliche Erfindung des Menschengeistes galt“ (S. 450).

„Kennzeichnend für das hellenistische Zeitalter ist auch, dass damals zuerst die Gelehrsamkeit und ihre Bedeutung vom Staat anerkannt und geschätzt wurde. Die privaten Philosophieschulen lebten weiter. Aber neben ihnen erhoben sich die ersten öffentlichen Einrichtungen zur Förderung von Literatur und Wissenschaft. Das Museion (Heim der Musen) in Alexandreia war die erste vom Staat erhaltene gelehrte Gesellschaft. Es war eine Gesellschaft von Forschern und Literaten, die ihr ganzes Leben der Wissenschaft und Literatur hingaben. Eine große Bibliothek wurde ihnen zur Verfügung gestellt, dazu weitere Hilfsmittel für die Forschung, so z.B. ein zoologischer Garten. Pergamon konnte sich einer ähnlichen Einrichtung rühmen und suchte es also auch auf diesem Gebiet Alexandreia gleichzutun“ (S. 465).

„Noch mehr wurde in den exakten und experimentellen Wissenschaften geleistet. … wird deutlich, dass die Hauptentdeckungen des 19. Jahrhunderts grundsätzlich von den Gelehrten der hellenistischen Zeit vorweg genommen sind“ (S. 464).

Religiöse Tiefe und Vielfalt: Demeter-Kult (eleusinische Mysterien), Orphiker, Pythagoreer, Kult der Persephone/Kore, Tendenzen zum Pantheismus und zum Monotheismus im Hellenismus